Google, Facebook und Amazon nutzen zum Teil neue Dynamiken (oder zumindest Dynamiken in nicht vorher gesehenen Größenordnungen) um größer und mächtiger zu werden. Die ersten Giganten des digitalen Zeitalters erfreuen sich an Zentralisierungseffekten an vielen Fronten. Und bis jetzt an wenig Gegenwehr.
Es ist zwar leicht zu erkennen, dass die Großen immer größer werden -offensichtlicher als im digitalen Sektor wird's gerade nicht-, aber: Es ist nicht ganz einfach, die Art der Marktkonzentrationen und ihre konkreten Folgen richtig zu erfassen. Denn sie unterscheiden sich in wesentlichen Fragen von traditionellen Monopolen und Monopsonen.
Warum es wichtig ist: Ohne eine breite Diskussion, wie die Skaleneffekte der digitalen Wirtschaft reguliert werden können, und, hoffentlich, eine daraus entstehende produktive Lösung, steuern wir auf folgende Situation zu: Eine Zurückdrängung von Wettbewerb an vielen Stellen, bis hin zur Marktwirtschaft als Ganze in Schräglage.
Ein paar Punkte zu allgemeinen digitalen Marktdynamiken
- Facebook und Google halten den dominierenden Marktanteil des Endkundenmarktes für ihre jeweiligen Produkte (Social Network, Suchmaschine).
- Ihre Produkte werden durch die großen Marktanteile bei den Endkunden besser (Netzwerkeffekte bei Facebook, Nutzungsauswertung bei Google führt ebenfalls zu Skaleneffekten bei der Verbesserung der Suchergebnisse)
- Diese Marktmacht schließt aber Marktmachtmissbrauch auf Endkundenseite zu weiten Teilen aus. (Nicht komplett, aber zu weiten Teilen.) Die Endkunden, die Nutzer, können theoretisch zu anderen Diensten wechseln. Sie müssen das nur zu vergleichsweise geringen Anteilen tun, um die obigen Skaleneffekte in's Wanken zu bringen. Sie tun das aber nicht, weil sie die Produkte als wertvoll erachten. (In diesen zwei Sätzen stecken viele Missverständnisse drin. Netzwerkeffekte sind unflexibel: Stark und brüchig.)
- Es sind also nicht nur die Qualitätsaspekte des Produkts, die der Anbieter beeinflussen kann, sondern auch die Qualitätsaspekte aus der 'Präsenz' der anderen Nutzer, die wesentlich aufs Produkt selbst (Netzwerk, Suche, Marktplatz) zurückwirken.
- Erst aus diesen Punkten folgt die Marktmacht, mit der Facebook und Google etwa als Oligopol den Onlinewerbemarkt komplett dominieren können. Ihre (zueinander komplementären) Zugänge zu den Endnutzern gibt ihnen Marktmacht gegenüber Werbetreibenden.
Sprich also: Die großen Plattformen müssen attraktiv für Endkunden bleiben, solang sie das sind -und für die großen Tech-Konzerne glücklichweise sind sie da in einer sich selbstverstärkenden Situation- haben sie Marktmacht gegenüber der anderen Seite auf ihren Plattformen: Werbekunden, Inhalteanbieter wie Presseverlage etc.
Das Gleiche gilt für Amazons Marktplatz. Erst als Amazon als Onlinehändler populär war, war der Marktplatz der nächste logische Schritt, weil nun die Marktplatzhändler einen Grund hatten zu kommen: Die Kunden waren da. Diese Reihenfolge in der Bedeutung für den Erfolg von Amazon (oder jeden anderen Marktplatzes) ändert sich nicht, wenn der Marktplatz erfolgreich wird. Im Gegenteil: Es ist eine Konstante.
Amazon denkt zuerst an den Endkunden. Im Zweifel wird der Marktplatzhändler oder der mit Amazon kooperierende Hersteller zugunsten einer besseren Service-Leistung für den Endkunden ausgequetscht. Das Ergebnis ist ein besserer Marktplatz. Ein Marktplatz, der mehr Service, schnellere Lieferung, mehr Kulanz bei Retouren usw. usf. bietet. Das ist gut für die Endkunden. Und was gut für die Endkunden ist, steigert die Reichweite und die Marktmacht des Marktplatzes. Man behalte diese beiden letzten Sätze im Hinterkopf. Wir kommen darauf zurück.
Dass der Endkundenzugang allesentscheidend im digitalen Kontext ist, ist heute in Expertenkreisen allseits bekannt. (Siehe dazu etwa auch Ben Thompsons Aggregation Theory)
Da die Grenzkosten für weitere Endnutzer praktisch bei null liegen, können die Onlineangebote "alle" Mitglieder einer Gruppe erreichen und tun das in zunehmenden Maße auch. Dieser simple, aber entscheidende Fakt hat zwei entscheidende Auswirkungen:
- Je stärker die oben beschriebenen Effekte sind, desto weniger reicht es aus, der zweitbeste oder etwa drittbeste am Markt zu sein. Während man früher mit so einer Position gut wirtschaften konnte, geht man heute damit schnell unter. Dieser Wegfall des "gut genug" zieht sich durch die gesamte digitale Wirtschaft; also nicht nur auf Plattform/Koordinator-Ebene. Der weitestgehende Wegfall vieler Arten von Transaktionskosten (Informationsbeschaffungskosten zB) führt dazu, dass in vielen Fällen nur ein Produkt gewinnt; das "beste" Produkt oder zumindest das, welches weithin als das beste Produkt wahrgenommen wird. (Was im Grunde synonym ist.)
- Dieses beste Produkt erreicht heute alle potenziellen Kunden und Nutzer; nicht nur die, die zufällig maximal 20 Minuten mit dem Auto entfernt von einer der eigenen Filialen wohnen. Regionalität hat enorm an Bedeutung verloren.
Plattformen, also alles, das einen zweiseitigen Markt ermöglicht, bringen, wie oben beschrieben, innere Netzwerkeffekte noch hinzu. Regionale Plattformen ergeben deshalb so viel Sinn wie Supermärkte, die nur Kunden akzeptieren, die zwischen 1,70m und 1,80m groß sind.
Die Folge aus diesen Dynamiken ist ein enormer Sog hin zu den "besten" Produkten. Dieser Sog wird nicht von Facebook und Amazon erzeugt; es ist andersherum: Er macht ihre (weiter wachsende) Größe erst möglich.
Eine direkte Folge dieser Marktmacht im Tech-Sektor ist die Tatsache, dass nach einer Rennaissance der Startups, also neuer, junger Tech-Unternehmen, die großen Tech-Konzerne heute vor allem schnell junge Unternehmen aufkaufen:
- Manchmal um weiter vertikal zu wachsen (Jedes Mitglied im Big-Tech-Club geht in die vertikale Integration nach unten und nach oben.) oder das Kerngeschäft zu stärken,
- manchmal als "acqui-hire", also um Teams aus gescheiterten Unternehmen schnell (und vergleichsweise teuer) ins eigene Boot zu holen
- und manchmal, um direkte Konkurrenten aufzukaufen (Facebook mit Whatsapp und Instagram, Amazon mit Diapers.com)
Es gibt noch mehr Gründe. (Im Falle von Amazon etwa internationale Expansion.) Der Punkt aber ist, dass die großen Tech-Konzerne durch die möglich gewordene und sogar vom Markt 'erzwungene' Zentralisierung ihrer Marktkoordination eine schöne Kostenstruktur für sich beanspruchen können. Es kostet vergleichsweise wenig, um all die Menschen mit Netzwerk, Suche oder Marktplatz-Zugang zu versorgen. Ein zusätzlicher Nutzer bei Facebook oder Google oder Amazon bringt weniger zusätzliche Kosten als zum Beispiel ein zusätzlicher Leser einer Tageszeitung. Das skaliert™, wie man so schön sagt.
Die direkte Folge davon: Überlaufende Kriegskassen.
Was also tun?
Nicht nur hierzulande, auch in den USA wird das diskutiert. Hier jüngst Quartz über die antitrust laws in den USA:
I believe that an outdated interpretation of antitrust law is partly to blame. For decades the standard for evaluating whether to break up monopolies, or block the mergers that create them, has been “consumer welfare.” And this consumer welfare standard has predominantly been interpreted as low prices. If companies can show that a merger or acquisition would not impact prices, for the most part, they win approval.
But in the context of technology companies—which often offer “free” platforms and instead sell user attention as their product—this low-prices-focused paradigm makes no sense.
Und weiter:
Google, Facebook, and Amazon have great technology, but much of their current status and financial success comes from what I believe are regulatory and antitrust mistakes. Amazon was allowed to buy dozens of ecommerce rivals and online booksellers to give it a monopsony position in the book industry. Google was able to buy its main competitor, DoubleClick, and vertically integrate online ad markets by buying advertising exchanges. Facebook was able to buy Instagram and WhatsApp with no regulatory challenges.
Google, Amazon, Apple, Facebook, and Microsoft have together acquired more than 500 companies in the past decade. Many new tech startups never get the chance to compete with the established companies, because as soon as they prove their technologies, they are acquired.
Wenn allein fünf Konzerne über 500 zum Teil große Unternehmen innerhalb von einer Dekade übernehmen können, dann stellt sich die Frage: Wie kann auf diesen Weg ein neuer Wettbewerb auf Augenhöhe der Plattformen entstehen?
Zwei Handlungsempfehlungen für kartellrechtliche Regulierungen von Plattformen
Es gibt zwei vergleichsweise einfache Handlungsempfehlungen, die ich jeder Regulierungsbehörde ans Herz legen würde. Beide bieten unmittelbare Vorteile und keine offensichtlichen Nachteile.
Die erste einfache regulatorische Maßnahme, die heute sofort in den USA wie auch in Europa angenommen werden sollte, lässt sich so formulieren:
Ein Unternehmen, das Skaleneffekte auf Nachfrageseite erfährt und einen dominierenden Marktanteil in einer der teilnehmenden Seiten seiner Plattform erreicht hat, darf keine direkten Konkurrenten übernehmen.
Das trifft zum Beispiel direkt auf Facebook und die Übernahmen von Whatsapp und Instagram zu. Beide hätten verhindert werden müssen.
Die zweite regulatorische Maßnahme lautet so:
Exklusivitätsklauseln, die teilnehmenden Seiten einer Plattform, die auf einer Seite einen dominierenden Marktanteil innehat, die Teilnahme an anderen Plattformen untersagt, sind verboten.
In einer der jüngsten Ausgaben des Exchanges-Podcasts formulierte ich diese regulatorische Forderung im Rahmen von Uber, Lyft und Amazon Flex: Diese auf Einzelunternehmer setzenden Plattformen dürfen ihre Auftragnehmer nicht exklusiv binden. Das heißt, ein Uber-Fahrer kann gleichzeitig Lyft nutzen oder über Amazon Flex ausliefern. Die Plattformen konkurrieren miteinander um die Zeit der für sie arbeitenden Menschen. Sie dürfen das in keiner Weise behindern. Am Beispiel von Amazons Logistikausbau lässt sich diese Regel unproblematisch auf Subunternehmen im Plattform-Kontext ausweiten.
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: On-Demand-Plattformen, die auf die Arbeitsleistungen von Selbständigen setzen, müssen verpflichtet sein, Zugang über APIs auch Dienstleistern zu genehmigen, die Multihoming für die Auftragsnehmer einfacher machen. Was heißt das? Uber und co. müssen zum Beispiel verpflichtet werden, Apps zu erlauben, die beispielsweise Uber, Lyft und Amazon Flex dynamisch aggregieren und den Auftragnehmern zeigen, welche Plattform für sie gerade den besten Auftrag hätte.
Zusätzlich könnten etwa Gewerkschaften über staatlich regulierte API-Zugänge zu diesen Plattformen neue Dienstleistungen für ihre Mitglieder schaffen und auf diesen Weg die Machtasymmetrie lindern. Aber das ist eine andere Geschichte.
Diese zweite Regel liese sich auch auf eine interessante Weise auf Amazons Marktplatz übersetzen..
Beide Maßnahmen beziehen sich auf die Zukunft. Wie lässt sich die aktuelle Situation verbessern?
Hier wird es bereits schwieriger. In der Regel wird eine Zerschlagung der Riesen verlangt. Das löst das Problem aber nicht unbedingt. Es ist in erster Linie nur eine offensichtliche Forderung.
Gehen wir die drei großen Internetkonzerne durch:
Facebook: Sowohl Whatsapp als auch Instagram wieder von Facebook abzutrennen, ist naheliegend und sinnvoll. Beide mobile Social Networks können ohne Probleme als separate Produkte existieren und würden Facebooks Marktmacht auf der Werbeseite als neue Konkurrenten erheblich schwächen.
Google: Hier wird es bereits schwieriger. YouTube könnte man abspalten. Aber darüber hinaus? Was wäre gewonnen, etwa Gmail von Google zu trennen? Waymo ist bereits ein unabhängiges Unternehmen unter der gleichen Holding wie Google und hat aktuell keinen Einfluss auf Googles Marktmacht. Egal, was man von Google trennt (Android, Google Maps?), nichts davon mindert die Marktmacht der Suchmaschine.
Amazon: Amazon ist vielleicht das schwierigste Unternehmen unter diesem Blickwinkel. Amazon ist zwar gleichzeitig auch das problematischste unter Kartellgesichtspunkten, aber: Amazon hat sich mit Primitives (Microservices) und Profitcentern bereits selbst modularisiert und setzt intern auf die gleichen Legobausatzansätze, die es auch externen Unternehmen über AWS und Marktplatz zur Verfügung stellt. Das ist natürlich nicht 100%ig gleichwertig, aber eine Zerschlagung von Amazon wird mit großer Wahrscheinlichkeit gemessen an der Schwere der Maßnahme vergleichsweise geringe Auswirkungen haben. Aber auch hier stellt sich zusätzlich die Frage, welche Teile überhaupt konkret getrennt werden sollten, um eine bessere Marktsituation zu erhalten. Das ist alles andere als offensichtlich.
Grundsätzlich löst Zerschlagung nicht das strukturelle Problem, der Zentralisierungstendenz auf digitale Plattformmärkten. Amazon, Google und Faceboook haben sich ihre Positionen nicht erschlichen. Sie zu zerbrechen lässt Big Tech nicht verschwinden. Sie würden nur ersetzt und/oder selbst wieder in diese Position hineinwachsen. Das sollte nach dem kurzen Exkurs zu Marktdynamiken oben deutlich geworden sein.
Deshalb sehe ich eine Regulierung der Handlungsspielräume für Plattformen als erfolgversprechender.
Das heißt nicht, dass etwas gegen Zerschlagungen spricht. Besonders die Abtrennung von Whatsapp und Instagram von Facebook wäre sehr vielversprechend. Aber es ist nicht die Wunderwaffe, als die es gemeinhin gesehen wird.
Nehmen wir etwa Tim Wu im Interview mit Vox.com über eine mögliche Zerschlagung von Facebook:
The Justice Department or the Federal Trade Commission or a state would suggest that the acquisitions of WhatsApp and Instagram were illegal when they happened, and that they were anti-competitive mergers. They could file a suit in federal court, asking for the court to break up Facebook, to dissolve Facebook, to break off Instagram and WhatsApp again.
That doesn’t solve all of the problems but it’s a start. It would give Facebook two serious competitors who, I think, could be more protective of privacy. WhatsApp when it was born was very privacy-protected; the reason the founders left was because they were so upset about Facebook’s privacy practices. Having two kinder, gentler, less privacy-invasive, less troll-friendly alternatives would be good for the public.
Es ist ein bisschen blauäugig, zu glauben, dass ein unabhängiges Whatsapp und ein unabhängiges Instagram qua ihrer Unabhängigkeit von Facebook automatisch "kinder, gentler, less privacy-invasive, less troll-friendly" wären. Das ist Unsinn. Aber es wäre durchaus besser, **wenn mehr von einander unabhängige Unternehmen die kulturell-soziologischen und informationsarchitektonischen Herausforderungen von Social-Media-Produkten in der Größenordnung von 1+ Milliarde aktiver Nutzer angehen würden. **
Aktuell gibt es nur zwei Organisationen, die sich damit in dieser Dimension beschäftigen (Facebook und Google mit YouTube) und ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster wenn ich sage, dass man diese Herausforderungen nicht unterschätzen sollte, Facebook und Google aber gleichzeitig aktuell nicht gerade alles Machbare ausreizen.
Wu macht auch ein historisches Argument für die Frage, wie man regulatorisch einen starken Wirtschaftsstandort erzeugt:
If you look at the tech sector, there’s a big lesson here in tech in the past 40 years. America chased down IBM in antitrust, broke up AT&T into small pieces, and we had 30 to 40 years of wave after wave after wave of new companies that came in one after the other — Microsoft, Dell, Gateway, AOL, Compuserve, Google, Amazon. We had 30 years of fierce competition.
Meanwhile, Europe and Japan have the same big firms they had in the ’70s. And I think this is how American reclaimed its global tech supremacy and frankly economic supremacy, just by breaking them up and mixing the pot again.
And so, I’m afraid we’re going to end up with [just] Google and Amazon, if we let them stick around for 40 years; if we don’t stir the pot the way we stirred it with IBM, I think we will pay for it.
Missbrauchsverfahren des Kartellamts gegen Amazon in Deutschland
Kommen wir zum Abschluss noch einmal zurück zu Amazon.
Die Kartellbehörde hat ein Missbrauchsverfahren gegen Amazon eingeleitet. Schauen wir uns das unter den oben gemachten Prämissen an.
Das Kartellamt wolle die Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen von Amazon gegenüber den Händlern dort untersuchen. Denn Amazon nimmt eine Doppelrolle ein - der US-Konzern ist selbst der mit Abstand größte Online-Händler in Deutschland und betreibt dazu noch einen Internet-Marktplatz, auf dem Waren anderer Anbieter verkauft werden.
Amazon fungiere so als eine Art "gatekeeper" (Torwächter) gegenüber Kunden, so die Kartellwächter. Diese Doppelrolle berge das Potenzial für Behinderungen von anderen Händlern auf der Plattform.
Amazon ist kein Torwächter gegenüber Endkungen. Der Marktplatz ist das Gegenteil: Der Versuch, alles abzudecken. Das kann aus automatisierten Gründen zu bizarren Folgen führen. Tatsächlich ist die Doppelrolle als Händler und Marktplatzanbieter problematisch. Aber das ist der Weg, wie in der Regel Online-Marktplätze entstehen: Große Händler können das Henne-Ei-Problem lösen, dass Marktplätze am Anfang überwinden müssen. Wird das Amazon zum Verhängnis, könnte Zalando als nächstes dran sein. Im Detail muss sich hier noch zeigen, was tatsächlich problematisch ist und was nicht.
Die Kartellwächter gehen Beschwerden von Händlern nach, die Waren auf dem Marktplatz anbieten. Die Behörde arbeitet dabei auch mit der EU-Kommission zusammen.
"Wir werden prüfen, ob Amazon seine Marktposition zu Lasten der auf dem Marktplatz tätigen Händler ausnutzt", kündigte Kartellamtschef Andreas Mundt an. "Die Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen von Amazon gegenüber den Händlern werden damit umfassend auf den Prüfstand gestellt."
Die möglicherweise missbräuchlichen Geschäftsbedingungen beträfen unter anderem Haftungsregeln zu Lasten der Händler, Regeln zu Produktrezensionen, intransparente Kündigungen und Sperrungen von Händlerkonten, teilte das Kartellamt mit.
Oben schrieb ich: "Ein Marktplatz, der mehr Service, schnellere Lieferung, mehr Kulanz bei Retouren usw. usf. bietet. Das ist gut für die Endkunden. Und was gut für die Endkunden ist, steigert die Reichweite und die Marktmacht des Marktplatzes."
Amazon hat die Macht gegenüber den Marktplatzhändlern und nutzt diese, um die Situation für die Endkunden zu verbessern, weil damit der Marktplatz attraktiver wird, was wiederum die Marktmacht gegenüber den Marktplatzsellern verstärkt.
Was bedeutet "Haftungsregeln zu Lasten der Händler" regulatorisch zu bekämpfen anderes als "Haftungsregeln zu Lasten der Endkunden" zu schaffen?
Was man der einen Seite gibt, muss man der anderen Seite wegnehmen.
In der obigen Aufzählung steckt allerdings auch ein Punkt, der regulatorisch enorm gestärkt werden kann: "intransparente Kündigungen und Sperrungen von Händlerkonten". Abseits der Kündigungen und Sperrungen, die zum Teil Anlass für die Beschwerden waren, sollte Transparenz der großen Plattformen grundsätzlich gegenüber den auf ihnen Geschäfte machenden Unternehmen regulatorisch durchgesetzt und gestärkt werden.
Im September hatte bereits die Europäische Kommission erklärt, sie nehme Amazon wegen des Umgangs mit den Verkaufsdaten von Händlern auf seiner Markt-Plattform unter die Lupe. Das Verfahren des Bundeskartellamts und das Verfahren der Kommission ergänzten sich, teilte die Bonner Behörde mit.
"Unser Hauptaugenmerk gilt dem Schutz des Wettbewerbs in der Digitalwirtschaft", hatte Mundt bereits in der Vergangenheit angekündigt. Die Behörde ziele darauf ab, Märkte offen zu halten und die Interessen der Verbraucher zu schützen.
Die Kartellbehörde nennt hier ihre zwei Zielsetzungen, die sich bis dato ergänzten:
- Schutz des Wetttbewerbs
- Interessen der Verbraucher schützen
Diese Zielsetzungen stehen aber immer öfter und hier konkret und deutlich im Amazon-Fall im Widerspruch zueinander:
Wenn Amazon mit seinem harschen Umgang mit Marktplatzhändlern einen für Verbraucher wohlfahrtssteigernden Marktplatz schafft, widerspricht regulatorisch eingreifender Schutz des Wettbewerbs (Marktplatzhändler) dem Interessensschutz der Verbraucher. Und dieser Widerspruch trifft nicht nur auf den Amazon-Marktplatz zu, sondern lässt sich analog auf andere Plattformfragen übersetzen.
Die Gretchenfrage für die Kartellbehörde lautet: Welches Ziel wiegt schwerer?
Dieser Text ist der erste Artikel einer neuen Analyse-Reihe über Big Tech.
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