Stefan Niggemeier über die einseitige Berichterstattung in FAZ, Welt, SZ und Handelsblatt:
Am Dienstagnachmittag hat der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Institutes für Immaterialgüter– und Wettbewerbsrecht eine Pressemitteilung verschickt. Sein Institut, die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) sowie mehrere weitere Wissenschaftler üben in einer Stellungnahme vernichtende Kritik an dem Gesetzentwurf, der heute Nacht in erster Lesung im Bundestag beraten werden soll.
Die führenden deutschen Zeitungen haben ihren Lesern die Existenz dieser Kritik namhafter Fachleute an dem geplanten Gesetz bis heute verschwiegen.
Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihnen nicht bekannt ist. Die Nachrichtenagentur dpa hat erstmals gestern Vormittag in einer Meldung darüber berichtet (»Wissenschaftler: Leistungsschutzrecht ›nicht durchdacht‹«). In mindestens vier weiteren dpa-Meldungen ist die Stellungnahme erwähnt.
Trotzdem steht kein Wort davon in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, in der »Süddeutschen Zeitung«, in der »Welt«, im »Handelsblatt« — alles Blätter, deren Verlage für ein Leistungsschutzrecht kämpfen und deren Redakteure gestern und heute teilweise wuchtigst Google für seine vermeintliche Desinformation kritisiert haben.
Jens Matheuszik im Pottblog über die einseitige Berichterstattung der WAZ:
Chapeau liebe WAZ-Mediengruppe! Ihr schafft es auf drei Seiten was zum Thema LSR zu schreiben und die Contra LSR-Position wird auf der letzten Seite in einem kleinen Absatz versteckt. Die eigene Pro LSR-Position überlagert quasi fast alles, die negativen Aspekte des LSR fallen unter den Tisch.
Thomas Lückerath im Medienmagazin DWDL über das 'Printkartell':
Google soll zahlen, weil Google journalistische Inhalte kostenlos ins Netz stellt, behauptet beispielsweise der Handelsblatt.com-Chef"redakteur" Oliver Stock. Das ist wider besseren Wissens gelogen. Da werden die eigenen Leser bewusst getäuscht, um Stimmung zu machen. Denn wie auch Christoph Keese, Cheflobbyist von Axel Springer, vergisst er zwei Dinge: Die Verlage sind es, die die Inhalte kostenlos ins Netz stellen. Und sie könnten Google ganz einfach mit wenigen Zeichen Quellcode daran hindern, ihre Inhalte etwa bei Google News anzeigen zu lassen.
Journalisten wie Michael Hanfeld polemisieren in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gegen Google. Scheinheilig wird Google angesichts deren Kampagne gegen das Leistungschutzrecht vorgeworfen, sie würden ja nur eigene Interessen verfolgen. Als wenn das die Verlage nicht tun würden. Für wie dumm halten die "Qualitätsmedien" eigentlich die Leser?
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Aber in diesen letzten November-Tagen verspielen Medien wie u.a. "FAZ", "Handelsblatt" aber auch "SZ" ihre journalistische Glaubwürdigkeit. Fakten werden ignoriert, Lügen verbreitet und das Ganze als Journalismus verkauft. Wie bitter ist es, dass in einer insgesamt schon schweren Zeit für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland dieses Propaganda-Kartell das eigene Grab nur noch tiefer gräbt.
Das Bemerkenswerte ist nicht, dass Presseverlage ihre Publikationen dazu nutzen, ihre Eigeninteressen durchzusetzen. Das ist weder überraschend noch neu, wie man zum Beispiel an der Existenz des Listenprivilegs sehen kann.
Bemerkenswert dagegen sind zwei Umstände:
1. Wie stümperhaft, wie praktisch überhaupt nicht verdeckt, gelogen wird.
2. Wie wenig von den betroffenen Redaktionen nach außen durchdringt. Gibt es keine Journalisten in den jeweiligen Redaktionen, die entsetzt über die Vorgänge sind? Wenn man aus Angst um den Arbeitsplatz den eigenen Arbeitgeber nicht öffentlich kritisieren will und intern keine ausgewogene Berichterstattung forcieren kann, dann gibt es noch andere Wege, an die Öffentlichkeit zu gehen. Warum gibt es keine Leaks über interne Vorgänge an Blogs oder Onlinemedien wie DWDL? Warum gibt es keine anonym geführten Blogs auf wordpress.com oder Tumblr, die über die Vorgänge hinter den Kulissen berichten?
Ich hoffe, die Medienwissenschaftler des Landes sammeln bereits Material für Untersuchungen zu den aktuellen Debatten zum Leistungsschutzrecht. Ein spannenderes Thema kann ich mir für dieses Feld nicht vorstellen.
Denn im Gegensatz zu früheren Durchsetzungen von Verlagsinteressen, wie etwa dem oben bereits erwähnten Listenprivileg, kann man hier und jetzt einmal direkt die systemischen Nachteile einer über industrielle Massenmedien organisierten Öffentlichkeit mit einer, in Deutschland eher noch rudimentär ausgeprägten, Öffentlichkeit einer vernetzten Informationsgesellschaft vergleichen.
Wie verlaufen die jeweiligen Debatten? Welche Mechanismen werden eingesetzt? Welche Unterschiede zu früher zeichnen sich bei den Ergebnissen ab?
Und warum können es sich die Lügner in den Redaktionen so einfach machen?