12. Sep. 2017 Lesezeit: 4 Min.

Die großen E-Versprechen der deutschen Automobilhersteller im Schatten von China

Die Ankündigungen von VW, Daimler und BMW lesen sich wie eine Industrie, die sich entschlossen ihrer turbulenten Zukunft stellt. Gerade noch rechtzeitig, mag man angesichts des geplanten Verbots in China denken. Nur auf das Kleingedruckte, das was zwischen den Zeilen steht, sollte man nicht zu genau schauen.

Golem über die VW-News:

Der Wolfsburger Konzern präsentierte anlässlich der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main eine "Roadmap E", die Investitionen in Höhe von 70 Milliarden Euro für die Entwicklung von Elektroautos sowie die Batterieproduktion vorsehen. Im Jahr 2025 könnte etwa jedes vierte neue Fahrzeug des Konzerns rein batterieelektrisch angetrieben sein.

Dabei entfallen 20 Milliarden Euro auf die "Industrialisierung der Elektromobilität", wie es heißt. 50 Milliarden Euro will VW für "langfristige strategische Partnerschaften für China, Europa und Nordamerika" zur Batterieproduktion ausgeben. Der Konzern erwartet einen Batteriebedarf von 150 Gigawattstunden (GWh) im Jahr 2025. Damit könnten drei Millionen Fahrzeuge mit einer durchschnittlichen Akkukapazität von 50 KWh ausgestattet werden.


Das klingt alles beachtlich. Aber entscheidend ist, was VW-Vorstandschef Michael Müller über die Verbrennersparte und deren Zukunft sagt:

Die Roadmap E bedeutet jedoch gleichzeitig, dass im Jahr 2030 noch ein großer Anteil der VW-Fahrzeuge mit einem Verbrennungsmotor angetrieben werden sollen. Ein Verbrennerverbot von 2030 an, wie es die Grünen fordern, hält VW damit wohl für unrealistisch und spricht stattdessen von einem "geordneten Systemwechsel". Müller sagte dazu: "Um nachhaltige und bezahlbare Mobilität für viele möglich zu machen, werden wir bis auf weiteres das gesamte Antriebsspektrum anbieten - von konventionell bis 100 Prozent elektrisch. Das ist kein Zeichen von Beliebigkeit, sondern ein Gebot der Vernunft."

Zum Vergleich: Während UK und Frankreich ein Verbrennerverbot ab 2040 umsetzen wollen, soll in Indien ein Verbot bereits 2030 in Kraft treten. In Schottland möchte man abseits des Rests vom UK ab 2032 ein Verbrennerverbot.

In China beträgt die staatlich festgelegte E-Quote für Neuzulassungen 8% für 2018, 12% für 2020, und irgendwann 100%. Das chinesische Verbrennerverbot wird zeitlich eher Richtung 2030 denn 2040 tendieren. China hat, wie hier bereits mehrfach ausgeführt, mehrere Anreize dafür: Das Verbrennerverbot wird so schnell oder langsam kommen, wie die chinesische Automobilindustrie benötigt, um mit E-Vehikel den Individualtransportbedarf in China komplett abdecken zu können.

Man sollte sich da keine Illusionen machen: Es sind einzig und allein die steigenden Elektroquoten für den chinesischen Markt, welche die deutschen Hersteller antreiben.

heise online zur "Roadmap E" von VW:

Bis 2030 soll es nach Müllers Worten für jedes der weltweit rund 300 Modelle des Konzerns in allen Fahrzeugklassen und -segmenten mindestens eine elektrifizierte Variante geben. Hintergrund ist eine "Roadmap E" genannte Strategie – laut VW die umfassendste Elektro-Offensive in der Autoindustrie. [...]

Bereits in Strategieprogramm "Together" vom Sommer 2016 hatten die Wolfsburger das Ziel ausgegeben, bis 2025 die weltweite Nummer eins in der E-Mobilität zu werden. Demnach soll 2025 etwa jedes vierte neue Auto des Konzerns rein batterieelektrisch angetrieben sein – was zugleich bedeutet, dass die mit Diesel und Benzin angetriebenen Verbrenner eine wichtige Rolle behalten.

heise über Daimler und Smart:

Daimler will seine Marke Smart komplett auf elektrische Antriebe umstellen. Bis 2020 soll es in Europa und Nordamerika nur noch Elektro-Smarts geben, der Rest der Welt soll kurz darauf folgen, wie Vorstandschef Dieter Zetsche am Montag (11. September 2017) vor dem Beginn der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt sagte. „Damit wird Smart die erste Automobilmarke, die konsequent vom Verbrenner-Portfolio auf ein reines Elektro-Portfolio umsteigt.“ Zetsche kündigte außerdem an, bis zum Jahr 2022 das komplette Autoangebot auch mit Elektroantrieben zur Verfügung zu stellen: „Wir planen hier mit mehr als 50 elektrifizierten Fahrzeugvarianten.“

Und auch BMW verkündet E-Autos. Reuters:

BMW, which launched the i3 electric car in 2013, said it was now readying its factories to mass produce electric cars by 2020 if demand for battery driven vehicles takes off.

“By 2025, we will offer 25 electrified vehicles – 12 will be fully-electric,” Chief Executive Harald Krueger told journalists in Munich, adding the electric cars would have a range of up to 700 km (435 miles).

It marks a significant foray by a major manufacturer into electrification. BMW, which includes the Mini and Rolls-Royce brands and sold 2.34 million cars last year, announced the move on the day smaller rival Jaguar said it would offer electric or hybrid variants of all its models by 2020.

​Dank der E-Quote in China wird der globale Wandel zur Elektromobilität beschleunigt. Axios:

And we now have three new longer-range, mainstream-priced electric vehicles on the market: the 150-mile Nissan Leaf, and the GM Bolt and Tesla Model 3, both exceeding 200 miles of range. [...]

Why it matters: These developments help provide much more of the critical mass that's been missing in the EV equation. If consumers begin to buy these electrics in large numbers, they will hasten the global peak in oil demand, shaking up oil companies and petro-states alike. And EVs can help cut carbon emissions, acting as one part of the complex puzzle to prevent runaway global warming.

Die Frage ist natürlich, wann China über den Zeitplan entschieden haben wird. Das kann noch etwas dauern:

One question is when China will release a timeline and policy specifics for how it will implement its phase-out. BNEF analyst Colin McKerracher tells Axios that he does not expect those details until next year at the earliest, but that even the vague announcement provides a clear signal for automakers looking to the massive Chinese market.

In the near term, he's expecting Chinese officials to announce within days how they will structure an escalating quota system for so-called new energy vehicle sales in the coming years. China hopes to have electric and plug-in vehicles represent a fifth of its vehicle sales by 2025, according to Reuters.

​Aber das Verbot -oder eine 100%-Quote, wenn man es positiv beschreiben will- wird am Ende relativ egal sein für die Industrie. Entscheidender wird, wann China die Quote auf 30%, 40%, 70% erhöhen wird.. Bis 2025 sollen es immerhin bereits 20% sein. Denkbar, dass die Quoten zwischenzeitlich auch noch einmal nach oben korrigiert werden; wenn die chinesische Regierung feststellt, dass sie die Entwicklung der chinesischen E-Autoindustrie zu konservativ eingeschätzt hat.

​Die Supply Chain für Verbrenner wird lang vor dem chinesischen Komplettverbot kollabieren. Skaleneffekte ade..

​Zur gleichen Zeit öffnet sich für Elektrofahrzeuge jeder relevante Absatzmarkt weltweit. (abseits von Deutschland?) Herzlich willkommen, Skaleneffekte..

VW hofft, dass 2025 jedes vierte neue Fahrzeug des Konzerns rein elektrisch angetrieben wird. Das ist nicht ambitioniert sondern allenfalls resigniert. Der "geordnete Systemwechsel", den man sich bei VW vorstellt und wünscht, könnte sich schnell als naive Illusion herausstellen.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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