16. Apr. 2019 Lesezeit: 5 Min.

Disney+ und der Aufstieg der Streaminggiganten

Disney+ und der Aufstieg der Streaminggiganten
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Warum es wichtig ist: Die Frage ist nicht, ob Disney+ Netflix gefährlich wird, oder ob Amazon Prime Video oder Apple TV+ ‚besser‘ ist. Alle vier US-Giganten werden mit ihren globalen On-Demand-TV-Angeboten auch die TV-Unterhaltung hierzulande dominieren. Die einzige Frage ist, wie schnell es gehen wird und wie die deutschen TV-Sender darauf reagieren werden und ob sie überhaupt etwas tun können um zu überleben.

Nutzungsverhalten

Oliver Bünte auf heise über die jüngste Streaming-Studie von YouGov:

Besonders für die Gruppe der Millennials, den 18- bis 34-Jährigen, gehört es längst zum Alltag, Filme und Serien über einen Streamingdienst anzuschauen und nicht mehr klassisch zu festen Zeiten vor dem Fernsehgerät zu gucken. Neben YouTube nutzen 70 Prozent von ihnen mindestens eine der Plattformen Netflix, Amazon Prime Video, Sky Go & Select oder die Mediathek von ARD beziehungsweise ZDF. Bei der Bevölkerung ab 35 Jahren sind es mit 52 Prozent deutlich weniger, die mindestens eine der Streaming-Plattformen nutzen. Das sind die Ergebnisse einer aktuellen, am Dienstag veröffentlichten YouGov-Studie zum Thema "Kampf der Streaming-Anbieter".

Dieser Trend wird in naher Zukunft rasant an Fahrt aufnehmen, wenn neben Netflix auch Disney+ und Apple TV+ auf den deutschen Markt mit ihren Eigenproduktionen drängen. Während gleichzeitig immer mehr beliebte Inhalte ihren Weg nicht mehr in das deutsche TV finden und stattdessen nur exklusiv per Streaming geschaut werden können.

Investitionsverhalten

Der Economist über die massiven Investitionen von Disney, AT&T, Comcast, Netflix, Amazon und Apple in diesem Bereich:

Apple, meanwhile, has poured perhaps $2bn into original shows. [...]

And Netflix is expected to burn about $15bn this year on original and licensed content in a bid to add to its 139m global subscribers. [...]

Disney, for its part, will forgo profits of about $1bn this year—and $2bn annually from 2020—as it stops licensing films to Netflix and invests in original shows for its streaming platform, Disney+. New investments in Hulu, a general-interest streaming service with 25m subscribers that Disney controls, will also be costly.

Diese Investitionen rechnen sich nur für internationale Angebote.

Disney+ kommt

Disney+ wurde Ende letzte Woche vorgestellt. Ich habe in ‚neunetz.fm Der Tag 19‘ darüber geredet, was man heute über Disney+ wissen muss.

Für Deutschland entscheidend: Disney+ wird im November in den USA starten und schnell international ausgerollt werden. Der Plan ist, Disney+ nach West-Europa im vierten Quartal diesen Jahres oder spätestens Anfang 2020 zu bringen. Das heißt, es kann sein, dass Disney+ bereits zu Weihnachten 2019 in Deutschland verfügbar sein wird.

Bekanntlich hat Disney, wie zu erwarten war, angefangen, den europäischen TV-Managern zu sagen, dass ihre heißgeliebten Disney-Lizenzen nicht erneuert werden: Bald kein Disney mehr im deutschen TV: Disney informiert erste europäische Lizenznehmer, dass künftig Inhalte exklusiv gestreamt werden.

Die absehbare Zukunft: Kein Marvel, kein Simpsons, kein Star Wars, kein Pixar, kein Disney-Zeichentrick mehr im deutschen Fernsehen.

Einzigartige Streaminggiganten

Auch wenn heute gern alles Erfolgreiche im Internetkontext austauschbar und bedeutungslos als ‚Plattform‘ bezeichnet wird, sehen wir nicht nur aber gerade auch hier sehr unterschiedliche Anbieter -jeder von ihnen ist einzigartig-, bei denen keiner als Plattform per se im Videobereich agiert:

  • Netflix ist der dominierende Spezialist (aktuell 139 Millionen Abonnenten), der am traditionellsten agiert. Netflix hat den zeitlichen Vorteil, der kaum noch einholbar ist. Warum das so ist, analysieren Bertram Gugel und ich ausführlich in der kommenden Ausgabe von Hier & Jetzt Video.
  • Amazon Prime Video ist ein wichtiger Teil des Kategorien übergreifenden Bündels Amazon Prime. Die Vielfältigkeit des Bündels macht Prime und damit Prime Video für ‚klassische‘ Unternehmen (TV-Sender oder klassische Onlinehändler etwa) schwer bis unmöglich, damit zu konkurrieren. Je stärker der Amazon-Marktplatz (<- Plattform), desto stärker auch Prime Video und vice versa.
  • Apple TV+ ist noch eine Unbekannte, weil Apple nicht alle Aspekte genannt hat (im Grunde haben sie wenig bis nichts gesagt, wie wir auch in neunetzcast 70 diskutieren), aber wie bereits vorher Apple Music wird auch Apple TV+ stark von der Default-Macht auf den iOS-Geräten profitieren. Die enge Beziehung zum populären iPhone hat ihren Wert. Für Apple geht es darum ‚Services‘ als neues großes Geschäftsfeld zu etablieren und dafür werden sie ihre starke Hardwaremacht ausspielen.
  • Disney+ ist von allen vier der einzige, echte Entertainment-Konzern. Im Gegensatz zu etwa Warner in den USA oder RTL oder ProSieben hierzulande hat Disney gleich eine Handvoll Brands/Franchises unter dem eigenen Dach, die die heutige Unterhaltung so stark dominieren, dass beispielsweise noch mehr Blockbuster-Filme pro Jahr von Disney den Gesamtumsatz des Konzerns nicht mehr steigern könnten, weil sie dafür den Gesamtumsatz der Kinobranche nach oben treiben müssten. (Was in diesem Top10-Bereich nicht passieren und stattdessen dazu führen würde, dass Disney stärker mit sich selbst konkurriert.) Gleichzeitig hat Disney mehr im Angebot als TV-Content. Mit dem direkten Endkundenzugang kann Disney sein gesamtes Spektrum (Merch, Themenparks, etc.) sehr viel besser ausspielen als etwa mit TV-Lizenzen. Auch deshalb wird der Preis für Disney+ unter dem von Netflix liegen. Disney wird mit Disney+-Abonnenten mehr verdienen als die 7$/Monat, die der Streamingdienst beispielsweise in den USA kosten wird.

Also:
Netflix: klassisches Medienvorgehen, Prime Video: Einbindung in größeres Geflecht, Apple TV+: Teil der steigenden vertikalen Integration des Unternehmens, Disney+: Teil des Produktportfolios.

Keinerlei Plattformallerlei bei Netflix und Disney+. Am Rande Plattformaspekte bei Prime Video (Amazon Marktplatz ist eine Plattform) und Apple TV+ (Der Appstore ist eine Plattform). Im Videobereich selbst spielen bei diesen Anbietern Plattformaspekte aktuell und auf absehbare Zeit keine Rolle. (Im Gegensatz zu YouTube etwa.)

Die Unterschiede bei den Streaminganbietern sorgen unter anderem dafür, dass ihre Videoangebote in Teilen komplementär zu einander sind, was den Ökosystembruch beschleunigen wird und es den deutschen TV-Sendern zusätzlich schwer machen wird, eine gute Antwort zu finden.

Wer sich für die Aussichten und den Kontext von Disney+ interessiert, sollte neben neunetz.fm Der Tag 19 sich diese zwei Analysen zu Gemüte führen:

Besonders die Redef-Analyse von Matthew Ball, dem ehemaligen Head of Strategy von Amazon Prime Video, macht sehr gut deutlich, dass und warum Disney+ ein Erfolg für Disney wird.

Denn Disney hat das schwerste bereits hinter sich: Die Entscheidung, sich vom lukrativen Lizenzgeschäft zu verabschieden und ein für das Unternehmen komplett neues Geschäftsfeld aufbauen, das zwar heutige Einnahmen stark kannibalisieren und zusätzlich enorme Investitionskosten bedeuten wird, aber gleichzeitig besser zum Unternehmen passt und vor allem zukunftsgerichtet ist.

..und Deutschland?

Bleibt die Frage, was die deutschen TV-Sender in dieser sich für sie stark wandelnden, künftig sehr viel feindseliger gesinnten, Welt machen werden, ja, überhaupt machen können.

Meine nüchterne Analyse zusammengefasst:

Nicht viel. Denn der Markt für privates TV aus und für Deutschland steht vor einer lizenzbedingten Implosion und schrumpft längst bereits vor unseren Augen.

Das ist gut für die deutschen Konsumenten. Denn die Streamingwelt gewinnt, weil sie schlicht ‚besser‘, also bequemer und reichhaltiger, ist als lineares TV. Es ist nur katastrophal für die deutschen TV-Sender.

Mehr dann demnächst bei ‚Hier & Jetzt‘, wo Bertram Gugel und ich in der nächsten Ausgabe Netflix analysieren und in der darauf folgenden Ausgabe den Optionenraum der deutschen TV-Sender beleuchten.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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