21. Mai 2012 Lesezeit: 1 Min.

Eine Art bildungsinterne Wikipedia für Schulmaterialien

Marion Schmidt in der Financial Times Deutschland über Digitales Lernen: Copy and Pay in der Schule:

Doch die Schule selbst, sagt Schaumburg, "ist beinahe der letzte analoge Raum". Denn obwohl mittlerweile fast alle Schüler Computer und Smartphones haben, müssen sie weiterhin ausschließlich von Papier lernen. "Wenn ich nur eine einzige Seite aus einem Schulbuch einscanne und für die Klasse ins Wiki stelle", sagt er, "mache ich mich strafbar."

Das klassische Dilemma mit dem Urheberrecht heute: Was eigentlich verboten, aber im analogen Alltag üblich ist, wird digital zum Problem hochstilisiert.

Die Argumente sind die gleichen:

Für die Verlage entsteht dadurch "ein erheblicher Schaden", sagt VB-Geschäftsführer Christoph Bornhorn, denn jede Kopie bedeutet potenziell ein weniger verkauftes Buch. Sein Kollege Andreas Baer schätzt, dass dadurch jährlich ein Verlust von etwa 400 Mio. Euro entsteht.

Nehmen wir einmal an, die aus der Luft gegriffene Lobbyistenzahl (der jährliche Gesamtumsatz der Branche liegt bei 370 Mio. Euro) würde zutreffen, dann könnte man es auch anders sehen: Kein Lehrbuchverlag ist bisher pleite wegen Kopien in der Schule gegangen und gleichzeitig entstehen dem chronisch von Geldknappheit geplagten Bildungssystem keine zusätzlichen Kosten in Höhe von 400 Mio. Euro.

Die pareto-optimale Lösung könnte, mehr noch als in anderen Bereichen, allmendebasiert sein:

"Ich tausche ständig mit Kollegen Arbeitsblätter aus. Wie sollen wir arbeiten, wenn dieses Tauschen im digitalen Bereich strikt untersagt ist?" Manche Lehrer sind mittlerweile so genervt von dem Hin und Her zwischen Verlagen und Ministern, dass sie selbst erstellte Materialien ins Netz stellen. "Wenn die Verlage uns keine guten Angebote machen", sagt Schaumberg, "nutzen wir einfach mehr frei zugängliche Unterrichtsmaterialien im Internet." 

Ein staatlich aufgesetztes und betriebenes System, auf dem Lehrer online kollaborativ eigene, gemeinfreie Lehrmaterialien entwickeln und miteinander tauschen könnten. Das wäre ein Projekt, bei dem alle, Lehrer, Schüler und der Staat als Geldgeber, gewinnen würden. Es wäre quasi eine bildungsinterne Wikipedia für Schulmaterialien.

Die einzigen Verlierer wären die Lehrbuchverlage, die in ihrer heutigen Form dann niemand mehr bräuchte.

Ich würde bezweifeln, dass das Betreiben eines solchen Systems auch nur annähernd 370 Millionen Euro im Jahr kosten würde.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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