Laut TechCrunch plant Facebook unter dem Namen "Project Spartan" eine neue mobile Plattform auf HTML5-Basis, die vor allem auch als Basis mobilen Webapplikationen unter die sozialen Arme greifen soll.
Aus mir unerklärlichen Gründen macht der TechCrunch-Autor MG Siegler aus diesen Informationen einen Angriff von Facebook auf Apple. Die Überlegung: Eine Webapps unterstützende Facebook-Plattform ist ein direkter Angriff auf den Appstore von Apple.
In Deutschland nimmt FAZ-Netzökonom Holger Schmidt die unglückliche Interpretation auf und schreibt von einem Krieg der Plattformen.
Technews sind in den letzten zehn Jahren dank explosionsartiger Zunahme der Publikationen und daraus folgender Diversifikation enorm besser geworden. Aber es gibt etwas, das sich hartnäckig hält und fast immer Blödsinn ist: Wann immer ein Unternehmen etwas macht, das das Angebot eines anderen Unternehmens direkt betreffen könnte, ist sofort von "Killer" und von "Krieg" die Rede.
Wie bei der Filesharingdebatte liegt der Irrtum unter anderem darin, von Märkten als Nullsummenspielen auszugehen. Gleichzeitig werden entfernt vergleichbare Produkte immer als Substitute angesehen. Das ist natürlich meistens Quatsch.
Besonders in diesem Fall ergibt der konstruierte Kampf um Leben und Tod keinen Sinn.
Apples iOS-Geräte (iPad, iPhone, iPodTouch) kommen alle mit einem HTML5-fähigen Browser, der in dieser Richtung auch nicht beschränkt wird. Das ist einer der faszinierendsten Aspekte der Diskussionen rund um iOS: Es wird immer von einem rundherum geschlossenen System gesprochen, und dafür, notwendigerweise, der Browser ausgeblendet. Aber natürlich ist der Browser enorm wichtig für iOS, das gar nicht soo geschlossen ist, wie oft suggeriert. Über den Browser kann man auch auf iPad und iPhone Pornos konsumieren und Publikationen wie die Financial Times können ihre Applikation direkt ohne Apple als Zwischenhändler anbieten.
Nun könnte eine Initiative von Facebook, die HTML5-Webapps stärkt, tatsächlich auch Auswirkungen auf Apples iOS haben. Nur welche?
Stellen wir ein Gedankenspiel an.
Nehmen wir an, es hätte bereits in den Neunzigern flächendeckende Internetanbindung und hohe Internetnutzung mit dem Einsatz von Webapps etc. gegeben. Hätte ein qualitativ unterlegenes Betriebsystem (Windows) sich in dieser Welt so fest verankern können? Relativ unwahrscheinlich.
Die Tatsache, dass immer mehr Computernutzung OS-agnostisch im Browser stattfindet, hilft einem auf Qualität und User Experience ausgerichteten Rundumanbieter wie Apple: Der Wechsel von System zu System wird leichter. Gleichzeitig verschiebt sich die Differenzierung von der schieren Masse an verfügbarer lokal zu installierender Software hin zu verfügbarer Software und dem Drumherum (Hardware).
Wobei natürlich lokale Software, also native Apps, immer noch extrem wichtig sind und wichtig bleiben. Aber die Bedeutung verschiebt sich, weil die neue Klasse der Webapps hinzugekommen ist und die indirekten zweiseitigen Netzwerkeffekte im Softwarebereich für Betriebssyteme abschwächt.
Die Folge: Gute Hardware wird als Differenzierungsmerkmal wichtiger.
Natürlich stellt sich die Frage, wie sehr der leichte Systemwandel in alle Richtungen wirkt. Natürlich stellt sich auch die Frage, wie hoch die direkten Einkünfte für Apple über den Appstore sind, und ob ein Rückgang zu gunsten von Webapps stark ins Gewicht fallen würde. Vorausgesetzt dieser würde überhaupt stattfinden, und die die Webapps würden nicht einfach zum Beispiel zusätzliche Angebote von neuen Akteuren sein.
Aber natürlich wird Apple von Facebooks eventueller HTML5-Offensive profitieren: Mehr nützliche mobile Webapps machen auch Geräte wie das iPhone noch attraktiver. Und natürlich würden auch Android, WebOS und co. davon profitieren: Die HTML5-Apps wären gleichzeitig auch auf diesen Geräten verfügbar, was auch Attraktivität dieser Systeme steigert. Und für App-Entwickler ist mehr Auswahl, die im Bestfall sogar aufwandsenkend wirkt, auch positiv.
Wie unglaublich das für viele Technewsjournalisten erscheinen muss: Alle könnten gewinnen.
Wie auch immer das Zusammenspiel letzten Endes aussehen wird: In diesem Fall ist es auf keinen Fall ein vereinfachendes "entweder oder".
Aber das ist eben auch keine Schlagzeile.