Als ich die Entscheidungen von Google rund um GoogleReader und Google+ analysierte und die grundsätzliche Entwicklung von Google unter die Lupe nahm, kam ich zu folgendem Schluss:
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber Google scheint tatsächlich das neue Microsoft zu sein.
Ich glaube, dass sollte man noch etwas weiter ausführen, weil ich sehr stark vermute, dass der Internetkonzern sich gerade dank Facebook und darauf antwortender Google+-Strategie stark verändert und die Auswirkungen auf das Web enorm sein können. (Und zwar sowohl positiv als auch negativ.)
Auch Marco Arment (Ex-Tumblr, jetzt Instapaper) vergleicht Googles Strategie, alles auf ein Produkt zu setzen, mit Microsoft und ihrem überhasteten Versuch, Windows und Web enger zusammenzubringen:
(crickets)
It turns out that Microsoft has always been a money-losing also-ran at best with web services, but it doesn’t really matter, since their core business (Windows, Office, Exchange) has done well the entire time and will probably do well for the foreseeable future.
Google’s leadership seems to be paranoid about its continued relevance if it doesn’t make it big in social networking. But they’re showing that they’re willing to harm their other products to boost their social product.
Die Paranoia des Topmanagements von Google im Social-Bereich, der ersten wahren Disruption von Google, unaufholbar zurückzufallen, hat zu Google+ und Veränderungen in vielen Produkten des Suchriesen geführt. Diese Neuerungen sind oft nicht nur konzeptionell fragwürdig sondern oft auch wie ich hier und Felix Schwenzel auf wirres.net ausgeführt hat, zusätzlich stümperhaft umgesetzt.
Was zeichnete Microsoft seit den frühen Neunziger Jahren aus? Nicht nur oft im direkten Vergleich minderwertige Produkte, deren Konzepte Microsoft oft von anderen kopiert hatte, sondern auch noch etwas anderes: Das Erfolgsrezept von Microsoft war das Bundling der Software mit Windows. Die Marktmacht von Windows gab Microsoft einen uneinholbaren Vorteil gegenüber unabhängigen Softwareentwicklern.
Woran erinnert uns das?
Machen wir einen Lackmustest: Wir stellen uns vor, dass Google+ nicht von Google sondern von einem neuen Startup erdacht worden sei. Stellen wir uns vor, das Startup hätte genügend Risikokapital bekommen, um kostenlose Video-Hangouts und alle anderen Google+-Features anbieten zu können.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses StreamsundCircles+ innerhalb so kurzer Zeit so viele Nutzer angezogen hätte wie es Google+ geschafft hat?
Google+ ist noch heute relativ rudimentär und in vielen Belangen dem alten FriendFeed zwar ähnlich, aber unterlegen. Obwohl die Entwicklung von FriendFeed 2009 eingestellt wurde. (FriendFeed wurde gleichzeitig auch nie so groß wie Google+ heute schon ist.)
Wieso hat Google+ also bereits 40 Millionen Nutzer, wenn es ein rudimentärer Dienst ist, der kaum ein Problem löst?
Die Antwort ist einfach: Weil es von Google kommt. Weil es Google+ heißt. Weil Google gesagt hat, dass Google+ die Weiterentwicklung des gesamten Google-Portfolios ist. Ohne 'Made by Google' wäre Google+ so ein Niemandsland wie Diaspora oder andere Dienste, die kein Problem lösen und deshalb keine Nutzer finden.
'Von Google': Deshalb haben viele Leute Google+ ausprobiert, deshalb haben Unternehmen sofort Google+-Pages angelegt.
Die Motivationen gehen von 'Ich benutz nur Facebook und GMail. Huch, dieses neue Google+, das mir Google empfiehlt, schau ich mir mal an!' bis hin zu 'Das hier kann wichtig werden, ich bin besser sofort dabei.'.
Albert Wenger, Partner von Union Square Ventures, hatte Bundling im Zusammenhang mit Google+ bereits im Juli dieses Jahres angesprochen:
Google’s efforts here are reminiscent of Microsoft’s push into the application space. Even the motives are similar. For Microsoft: if people care about applications and those applications run equally well on different Operating Systems, then the OS (eventually) doesn’t matter. For Google: if people spend all their time in social services, then (eventually) search will be a feature of those services (because they will have all the relevant information about the searcher). In other words, in both cases the push is motivated by a desire to protect an existing hugely profitable business.The strategy for doing so is bundling the new offering with the existing market dominant one. In the era of Microsoft the main advantages of bundling were physical distribution and access to proprietary APIs. The latter allowed Microsoft to deliver a better product experience and the former let them reach customers more cheaply. The combination was a potent one and allowed Microsoft to wipe out their application competitors. Anyone remember Wordperfect? Or Visicalc? Or Lotus 1-2-3? They all became historical footnotes.
Google fährt mit Google+ eine klassische Bundling-Strategie:
- Du willst in unserer Suche besser dastehen? Baue unsere +1-Buttons ein!
- Du willst in unserer Suche besser dastehen? Versuche, möglichst viele G+-Kontakte zu bekommen und teile dann deine Inhalte mit ihnen!
- Du willst vom GoogleReader aus teilen? Benutze Google+!
- Du willst Songs von Google Music mit Freunden teilen? Benutze Google+!
Jetzt muss man natürlich anmerken, dass das Bundling heutzutage, selbst wenn es vom größten Internet-Konzern kommt, nicht die gleiche Macht hat, die Microsoft auf dem Desktop hatte. Das musste auch Google spüren, als man dort dachte, den Google+-Vorgänger GoogleBuzz einfach in GMail zu integrieren, wäre ein Erfolgsrezept. War es bekanntlich nicht.
Dass viele Leute heute Google+ benutzen, liegt auch daran, dass es benutzbar ist. Da es von Google kommt, reicht das. Es muss nicht gut oder gar außergewöhnlich sein. Nur benutzbar.
Google+ wird aufgrund der Verzahnung mit Google selbst nicht untergehen. Da ist es relativ egal, ob Google jetzt dies oder jenes nicht gleich richtig macht. Google+ ist nicht dem Tode geweiht, wie es etwa im Slate Magazine heißt:
Because there’s no way to correct Google’s central failure. Back when companies were clamoring to create brand pages on the network—or users were looking to create profiles with pseudonyms, another phenomenon that Google shut down—the company ought to have acceded to its users’ wishes and accommodated them. If Google wasn’t ready for brand pages in the summer, it shouldn’t have launched Google+ until it was. And this advice goes more generally—by failing to offer people a reason to keep coming back to the site every day, Google+ made a bad first impression. And in the social-networking business, a bad first impression spells death.
Die einzige Konsequenz dieser Versäumnisse von Google ist das Verfestigen von Facebook und anderen Tools. Aber sobald Google+ mit relativ wenig Aufwand betrieben werden kann (Read/Write-API muss dafür kommen), kommt auch der Rest der Nutzer. Oder zumindest ein genügend großer Teil des Restes, um Google+ in die selbe Liga zu setzen, in der sich aktuell Facebook, Tumblr und Twitter bewegen.
Nick Bilton von der New York Times schreibt:
Google hopes to build a social network that competes with Facebook, Twitter and other social services, but that is not the main reason the company has put so many resources behind Google+. Instead, Google+ is a social layer that has always been intended to sit on top of the company’s flagship product: search.Proclaiming that Google+ won’t survive is like saying that the Apple mobile iOS operating system will die, but the iPhone and iPad will live on. They are one and the same, just as Google and Google+ will be.
Google+ ist hier, und wird hier bleiben. Es wird groß werden, weil es benutzbar ist und weil es direkt mit Google und seinen vielen Produkten verwoben wird. Wird es Facebook Konkurrenz machen? Wird es andere Tools verdrängen können?
Ich glaube, dass Google mit seinem Hauruck-Verfahren, das dem späten Einstieg in den Markt geschuldet ist, sich keinen Gefallen tut. Mit dem Voranbringen von Google+ zerstört oder sabotiert Google andere Produkte. Ich hatte ausführlich über GReader geschrieben. Der Punkt darin war nicht, dass ich als User enttäuscht bin, sondern dass Google sich selbst keinen Gefallen damit gemacht hat:
Ich sehe den Verlust für die User eher kurzfristig. Mittel- bis langfristig werden sich Alternativen herausschälen, die höchstwahrscheinlich auch besser sein werden als ein GReader, der nicht mehr weiterentwickelt wird. (Mein Sharing, das früher über GoogleReader lief, ist mit Pinboard und diversen anderen Tools jetzt schon effizienter, nur die Konsumseite fehlt noch.)
Der große Verlust liegt auf Seiten von Googles: Sie haben die wertvollsten Infoströme der bestvernetztesten Infoarbeiter auf ihrer Plattform gehabt und hatten sie dank Followerprinzip im Lockin. Und dann haben sie das einfach alternativlos gelöscht.
Meine Prognose:
Google+ wird zu einer der wichtigsten und größten Social-Plattformen, wird dabei aber immer weit abgefallen hinter Facebook bleiben.
Die entscheidende Frage ist, ob es für Google reichen wird, dass Google+ zwar in die selbe Liga wie Facebook, Twitter und Tumblr vorstossen, diese aber niemals anführen wird.
Die Gründe dafür sehe ich im Fehlen einer Vision und dem notwendigen KnowHow bei Google und einem späten Markteintritt. Allein Bundling und die Größe der Googlesuche reichen nicht mehr aus, um Facebooks 800 Millionen aktive Nutzer (und steigend) einzuholen. Ganz davon abgesehen, dass Facebook Social in der DNA hat. Google hat das definitiv nicht. So wie Microsoft das Web nicht in der DNA hat.
Microsofts Bing gehört zu den größten Suchmaschinen weltweit, wenn auch weit abgefallen hinter Google. Ist es eine Gefahr für den Microsoft-Disruptor Google? Und, noch viel wichtiger, ist es ein gutes Geschäft für Microsoft? Spoiler: Nein.