2. Sep. 2016 Lesezeit: 2 Min.

Hinter den Extremforderungen zum EU-Presseleistungsschutzrecht liegt Gewissheit

Julia Reda, Abgeordnete der Piraten im EU-Parlament und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz, im Interview mit Spiegel Online zum geplanten EU-Leistungsschutzrecht, das sich im Vorschlag für das neue EU-Urheberrecht (PDF) findet, das EU-Digitalkommissar Günther Oettinger am 21. September der EU-Kommission vorstellen wird:

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger funktioniert schon in Deutschland nicht - jetzt soll europaweit offenbar eine noch verschärfte Variante kommen. Das deutsche Leistungsschutzrecht hat eine Schutzdauer von einem Jahr, mit der Überlegung, dass ein ein Jahr alter Nachrichtenartikel wohl seinen Nachrichtenwert eingebüßt haben wird. Der Kommissionsvorschlag sieht für das Leistungsschutzrecht eine Schutzdauer von 20 Jahren vor, das ist völlig jenseits von Gut und Böse. Anders als im deutschen Recht soll sich der Schutz auch nicht allein auf Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren beziehen. Nachrichten- und Zeitungsverlage würden ein neues Leistungsschutzrecht bekommen, das sie gegen jeden anwenden können, der Teile ihrer Artikel kopiert oder im Internet zur Verfügung stellt.

Auch Snippets fehlen im EU-Entwurf. Im deutschen Presseleistungsschutzrecht sind "einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte" ausgenommen.

Leonhard Dobusch auf netzpolitik.org über all die Punkte, die im Entwurf fehlen:

Das Schlimmste an dem Kommissionsentwurf sind aber nicht einmal Klauseln wie jene zum Leistungsschutzrecht, sondern es sind die zahlreichen Punkte, die fehlen. Im folgenden nur ein paar der vielen notwendigen Reformen, die mit keinem Satz erwähnt werden:

Panoramafreiheit: Obwohl die Kommission zu diesem Thema sogar eine eigene öffentliche Konsultation abgehalten hat, findet sich dazu weder etwas im Entwurf noch im Impact Assessment. Es gelten also weiterhin unterschiedliche Regelungen zu Panoramafreiheit in Europa.
Schrankenchaos: Alle bestehenden Ausnahme- und Schrankenregelungen bleiben wie bisher optional, der Flickenteppich an Ausnahmen bleibt bestehen.
Fair Use: Weiterhin fehlt es in Europa an einer offenen Klausel nach Vorbild des Fair Use im US-Copyright; Projekte wie Google Books, verschiedene Formen von Remixkreativität und ganz allgemein innovative neue Nutzungsformen sind damit in Europa weiterhin viel schwieriger möglich als in den USA.
Bagatellschranke: Alltagskreativität und transformative Werknutzung (z. B. in Form von Internet-Memes)bleiben weiterhin illegal.
Geoblocking: Die größte Peinlichkeit Enttäuschung ist wahrscheinlich das Fehlen von wirksamen Beschränkungen von Geoblocking, dem prominentesten Versprechen von Andrus Ansip und Günther Oettinger zu Beginn ihrer Amtsperiode. Nicht einmal ein Recht auf Netflix oder Mediathek im Urlaub ist im Entwurf verankert (vgl. dazu aber auch die Stellungnahme der Verbraucherschutzzentrale NRW zur geplanten Portabilitätsverordnung).

Der Entwurf ist klar eine unglaublich einseitige, rein von Lobbyinteressen getriebene Vorlage. Die Extremforderungen -groteske 20 Jahre für ein Leistungsschutzrecht auf Nachrichten; keine Snippet-Ausnahme; alle, auch Privatpersonen betroffen- sollen sicherstellen, dass über die Details gestritten wird, nicht über das neue Recht an sich. Während gleichzeitig Aktivisten und Bürgerrechtler die von Dobusch angesprochenen fehlenden Punkte erst einmal mühsam wieder auf die Tagesordnung bringen müssen.

Es ist auch ein Versuch, zu vernebeln, wie komplett wirkungslos das Presseleistungsschutzrecht für Presseverleger in Deutschland war.

Das wir tatsächlich 2016 über ein so unsinniges, volkswirtschaftlich höchstgefährliches Unterfangen für die EU reden -während wir in Deutschland sehen, wie es eben nicht das Resultat bringt, dass die Befürworter erhoffen- ist eine Bankrotterklärung der EU.

Wenn die Debatte hierzu in den Massenmedien auch nur annähernd dem Debattendesaster, der völlig unverschleierten Propaganda, ähneln wird, wie es beim deutschen Presseleistungsschutzrecht der Fall war, ist ein EU-Presseleistungsschutzrecht praktisch gegeben. Vor allem, da EU-Themen tendenziell weniger Aufmerksamkeit erhalten als nationale Themen. Was Mobilisierung auf der anderen Seite bei diesem abstrakten und damit dafür wenig geeigneten Thema noch weiter erschweren wird.

Davon zumindest dürften die Befürworter ausgehen.

Nur so ist dieser Schlag in's Gesicht in Form dieses Kommissionsentwurfs zu werten.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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