Christian Scholz über den netzpolitischen Kongress der Grünen, der am Wochenende stattfand:
Stattdessen ging es, wie zu erwarten, um die Risiken. Und da gibt’s ja viele, denn die Fantasie der Deutschen ist bei diesem Thema gross.
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Was eigentlich diskutiert hätte werden müssen, ist die Frage, wie wir unsere Gesellschaft in die Lage versetzen, mit Risiken umzugehen, anstatt sie überall vermeiden zu wollen. Keine Chance ohne Risiken. Versucht man alle Gefahren im Vorfeld zu verhindern, verhindert man dadurch eher die Chance.
Es braucht mehr Mut! – Eindrücke vom netzpolitischen Kongress der Grünen « mrtopf.de.
Die Grünen sind von allen im Bundestag vertretenen Parteien die wohl progressivsten, was Netzthemen angeht. Trotzdem sind sie noch ein gutes Stück davon entfernt, tatsächlich sinnvolle Anstösse zu liefern.
Warum man in Deutschland immer nur über Risiken und nie über Chancen reden kann - zumindest nicht ohne letzteres immer mit einem einschränkenden "aber" zu versehen - ist bemerkenswert.
Die zugrundeliegende Haltunge ist auch einer der Gründe, die uns als Wirtschaftsstandort massiv zurückhalten. In Zeiten, in denen tiefe Strukturwandel viele Wirtschaftsbereiche erschüttern, braucht es Experimentierfreude, um erfolgreiche Wege zu finden, wie Dinge erfolgreich neu organisiert und gehandhabt werden können.
Wir wissen nicht, was funktioniert, wir wissen oder bemerken vielmehr, was nicht mehr funktioniert. Was kann funktionieren? Das kann man nur über Experimentieren herausfinden.
Für diese Experimentierfreude braucht es Unternehmergeist. Den gibt es in den USA, nicht so sehr in Deutschland. Dass die USA international so erfolgreich im Web ist, liegt nicht allein daran, dass der Heimatmarkt und der Talentepool größer sind. Das hilft, ist aber nicht der alleinige Auslöser für den enormen wirtschaftlichen Erfolg, den die USA im Web hat.
Schweden, ein kleineres Land als Deutschland, kann gerade mit dem Musiksstreaming-Dienst Spotify eine internationale Erfolgsgeschichte vorweisen. Frankreich hat den Shoppingclub Vente-Privee.
Deutschland hat in 12 Jahren Internet im gesellschaftlichen Mainstream nicht eine einzige internationale Erfolgsgeschichte auf die Beine bekommen.
Das aktuell innovativste und spannendste Startup, das aus Deutschland kommt, und auf dem Weg zu einem internationalen Hit ist, ist SoundCloud. SoundCloud wird nicht von deutschen Gründern betrieben, sondern von eingewanderten Schweden, die die Berliner Musikszene als Sprungbrett für den Dienst nutzten.
Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist. Deutschland tut sich extrem schwer mit Experimentieren. (Das heißt nicht, dass es das nicht gibt. Aber man muss festhalten, dass die Ergebnisse von deutschen Gründern bis dato eben eher durchwachsen und maximal von regionalen Erfolgen gekrönt sind.) Ich weiß nicht, warum das so ist. Es muss etwas mit der Kultur des Landes zu tun haben. An den Rahmenbedingungen allein kann es nicht liegen, wie SoundCloud deutlich zeigt.
Ich glaube nicht, dass das insgesamt etwas ist, das sich ohne weiteres ändert. Zumindest nicht, bis die Politik, die auch positive Rahmenbedingungen setzen kann, aufhört, ebenso wie ein vor Angst erstarrtes Kaninchen auf das Web zu schauen und das Rad der Zeit an allen Enden zurückdrehen zu wollen. Siehe etwa das Thema Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das die freie Entwicklung des Webs in Deutschland erheblich torpedieren könnte.