Seit 2009 das geplante Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse erstmals im Koalitionsvertrag erwähnt wurde, äußerte ich regelmäßig meine Verwunderung darüber, wie gering und einseitig dieses für die freie Presse angeblich so wichtige Gesetz in der selben Presse diskutiert und begleitet wurde.
Jetzt hat sich jemand intensiv die Berichterstattung dazu angesehen.
Unter dem sperrigen Titel »Strategische Institutionalisierung durch Medienorganisationen« hat Christopher Buschow eine Arbeit über den »Fall des Leistungsschutzrechtes« veröffentlicht. Er fragt: Welche Strategien der Einflussnahme nutzen Medienorganisationen, um bestehende Wertschöpfungsstrukturen abzusichern und neue zu schaffen? Er hat die Berichterstattung ausgewertet und mit acht Beteiligten, Befürwortern und Gegnern, gesprochen, deren Aussagen anonymisiert wurden.
Niggemeier hat sich die Mühe gemacht und die skandalöse Berichterstattung in den Medien nachgezeichnet. Etwa über einen Aufsatz von Jan Hegemann in der FAZ:
Hegemann ist kein unbefangener Experte, sondern bezahlter Interessensvertreter von Axel Springer. Hegemann hat für den Verlag auch ein »Memorandum« geschrieben, das für ein Leistungssschutzrecht wirbt und von Springer an Bundestagsabgeordnete verschickt wurde.
Auf Nachfrage geben sich später sowohl Hegemann als auch die FAZ ungerührt: Ein Hinweis auf die Interessen des Autors sei nicht notwendig gewesen.
Wenige Wochen später stellt die »Welt am Sonntag« Jan Hegemann »Die wichtigsten zehn Fragen zum Urheberrecht«.
und
Christopher Buschow nennt in seiner Arbeit als vermutete treibende Kräfte in der Politik: Günter Krings, stellvertretender CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender, Ansgar Heveling, Bernd Neumann sowie den Anwalt Ole Jani, der das Justizministerium berät.
Am 28. Juni 2010 lädt das Bundesjustizministerium Verbandsvertreter zu einer nicht-öffentlichen Anhörung zum Leistungsschutzrecht. Zwei Tage zuvor veröffentlicht die FAZ einen Gastbeitrag von Günter Krings, der Druck macht.
Über eine 2010 veröffentlichte Stellungnahme des BITKOM, in der ein Presseleistungsschutzrecht abgelehnt wird:
Eine solche Erklärung, mit der sich viele, große Wirtschaftsverbände gegen ein Vorhaben der Politik und der Verlage aussprechen, ist ein außergewöhnlicher Schritt. Wie berichten die Verlage, die in diesem Fall Gegenpartei sind, in den nächsten Tagen darüber?
Überwiegend: Gar nicht.
Berichte finden sich lediglich in den Wirtschaftsblättern »Financial Times Deutschland« (FTD) und »Handelsblatt«.
usw. usf.
Stefan Niggemeiers Fazit:
Was für eine Ironie: Die Presseverleger behaupten, ohne sie werde es keine zuverlässige Unterrichtung der Öffentlichkeit geben. Doch sie nutzen die Auseinandersetzung um das Gesetz, das nach ihrer Darstellung notwendig ist, um das Überleben dieser freien (Verlags-)Presse sicherzustellen, nicht dafür, ihre behauptete Qualität unter Beweis zu stellen, indem sie korrekt, fair und ausgewogen darüber berichten. Sondern sie demonstrieren, wie wenig Skrupel sie haben, ihre Macht zu nutzen, um die Verlagslobbyisten durch Propaganda zu unterstützen.
In der Ausführlichkeit zeichnet sich ein erschreckendes Bild der deutschen, massenmedial organisierten Presse ab.
Die Berichterstattung über das Presseleistungsschutzrecht ist das beste Beispiel gegen das Argument, es sei hierzulande noch eine freie Presse in Gefahr; wenn diese gar nicht mehr existiert.
Siehe hierzu auch: