heise online berichtet über die Rede von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf der Next Berlin: Steinbrück: Deutschland kann die 4. industrielle Revolution anführen:
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat auf der Konferenz "Next" in Berlin die Digitalisierung der traditionellen Industrie als große Chance bezeichnet. "Deutschland kann die 4. industrielle Revolution anführen", prophezeite er vor der versammelten Gründer- und Startup-Szene am Dienstag. Dabei gehe es darum, die Informationstechnik in die klassischen Produktionsprozesse einzuführen. Mit dieser Industrie 4.0 entstünden ganz neue Produkte, Techniken und Verfahren wie zum Beispiel der 3D-Druck.
Ein bisschen Kritik am miserablen Breitbandausbau in Deutschland, aber ansonsten ein "Hurra, wir können zur Speerspitze werden".
Wir. Deutschland, das einzige westliche Land, in dem eine Musikverwertungsgesellschaft seit Jahren keine Einigung mit YouTube finden kann, das in anderen westlichen Ländern der größte Musikanbieter im Netz ist. Deutschland, das einzige westliche Land, in dem Häuserfronten auf Google Street View verpixelt werden mussten und Bing Street Side bereits wieder abgeschaltet wurde. Deutschland, das einzige westliche Land, in dem Presseverlage ein eigenes Leistungsschutzrecht bekommen haben, obwohl alle unabhängigen Experten dagegen waren. Deutschland, das Land, in dem ein Bestseller 2012 "Digitale Demenz" heißen kann. Deutschland, das Land, in dem der größte Internetprovider gerade das Ende der Netzneutralität und die massive Drosselung von Anschlüssen verkündet hat.
Deutschland hat ein riesiges Mentalitätsproblem.
Während 3D-Druck in den USA und anderen Ländern tatsächlich die Produktion von Gütern revolutionieren kann, wird es im aktuellen politischen Klima in Deutschland sofort in die Bedeutungslosigkeit reguliert, wenn es industrielle Bedeutung erlangt. Daran besteht kein Zweifel mehr. Für die deutsche Politik ist jede technologische Neuerung maximal Verhandlungsmasse. Also immer dann, wenn sie nicht ignoriert werden kann. Eine Politik für Chancen, die eine Zukunft ermöglichen, in der es auch Gewinner abseit der Automobilbranche und Axel Springer geben kann, ist unvorstellbar. Ein Tabu.
Steinbrück stellt sich nicht der düsteren deutschen Realität. Er stellt sich nicht der Tatsache, dass die Union seit Jahren eine destruktive, katastrophale Netzpolitik betreibt. Hier wäre eine Abgrenzung der SPD sehr leicht, nur will sie das eigentlich gar nicht so richtig, weil sie das alles eigentlich, also wenn sie doch gefragt wird, dann doch, wissen Sie, ganz gut findet.
Stattdessen halluziniert er also von einem Deutschland, das auch ohne Anstrengungen und Kurswechsel rosige digitale Aussichten hat.
Das ist natürlich bezeichnend. Wahrscheinlich sind Peer Steinbrück und seinen Redenschreibern der Internetstandort Deutschland vollkommen egal. Man merkt das auch am Anwendungsbeispiel für 3D-Druck in seiner Rede: "Künftig brauche ein Kunde in der Autowerkstatt etwa nicht mehr auf Ersatzteile zu warten, da sie direkt vor Ort gefertigt würden." Die SPD hängt wie die Union der irrigen Annahme nach, dass die Zukunft von Deutschland bei den Automobilen doch recht gut aufgehoben sei. Alles was neu kommt ist da nur ein Addon, unterstützende Peripherie für das Mutterschiff Automobilindustrie. Und 3D-Druck, die potentiell disruptivste Technologie, die selbst das Internet in den Schatten stellen kann, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, wird in der Steinbrückschen Vision für Deutschland zum Gegenteil: sustaining, erhaltend, das Bestehende marginal verbessernd.
Die Hurra-Rede von Peer Steinbrück auf der Next ist wie die Steinbrück-Rede auf der Cebit: Lasst uns den Internetheinis erzählen, was sie hören wollen, aber verschont mich mit Details oder Wahrheiten, die auch ich auf keinen Fall aussprechen will. Hat Opel schon angerufen? Was ist mit VW?