Anknüpfend an Neil Young und die Plattformwelt ein paar weitere Gedanken zu Onlinemoderation, Verantwortung und Zuordnung. Zuerst erschienen in Nexus 96.
Rogan, Apple Podcasts & Spotify
Die Frage wofür und in welchem Ausmass Plattformprovider für das verantwortlich sind, was auf ihrer Plattform passiert, ist so alt wie das Thema Plattform selbst.
Mit Rogan und Spotify ist es noch etwas spezieller: Spotify hat Rogans Podcast eingekauft, so wie ein Radio-Sender eine von einem Studio extern produzierte Radiosendung einkauft.
Die Frage nach Rogans Inhalten und Spotifys Verhältnis dazu ist also keine Plattformfrage oder Self-Serve-Frage per se. Hier ist ganz deutlich eine Assoziation zwischen Inhalt und Unternehmen vorhanden. Umso bezeichnender, dass Spotify gegenüber dem Wall Street Journal diese Woche sagte, dass sie 20.000 Podcast-Episoden entfernt haben, die gegen ihre „detaillierten Content-Policies“ bezüglich Covid-19 fallen.
Das heißt kleinere Podcasts, die self-serve über die Anbindungsoptionen kommen, werden einer strikteren Inhaltepolitik bei Spotify unterzogen als der populärste Podcast in den westlichen Ländern. Das ist keine Frage von problematischer Skalierung oder technischer Herausforderungen. Das ist eine schlichte opportunistische Geschäftsentscheidung zugunsten von Falschinformationen, die Rogan über Impfstoffe verbreitet.
Wann immer Öffentlichkeit Plattformprovider für Inhalte verantwortlich macht, hängt stark von der Assoziation der Inhalte mit der Plattform ab.
Selbst wenn Rogan kein eingekaufter Podcast bei Spotify wäre. Würde der Podcast immer noch gleichberechtigt neben der Musik in der App laufen. Musiker:innen können sich trotzdem daran stören.
Der Konzern Apple betreibt Apple Podcasts, noch aber nicht mehr lang die größte Podcast-Plattform, auf der auch Falschinformationen in den Podcasts verbreitet werden. Der Konzern Apple betreibt auch Apple Music. Beide Apps haben nur ihre Unternehmensmutter gemeinsam. Hier ist es einfach, die eine Produktkategorie von der anderen zu trennen.
Obwohl natürlich am Ende des Tages sich am Verantwortungslevel nichts ändert.
Substack und Anti-Vaxxers
Das bringt uns zu Substack. Im Guardian wird über Impfgegner geschrieben, die wortwörtlich auf Substack damit Millionen verdienen.
Guardian:
A group of vaccine-sceptic writers are generating revenues of at least $2.5m (£1.85m) a year from publishing newsletters for tens of thousands of followers on the online publishing platform Substack, according to new research.
Prominent figures in the anti-vaccine movement including Dr Joseph Mercola and Alex Berenson have large followings on Substack, which has more than 1 million paying subscribers who sign up for individual newsletters from an array of authors who include novelist Salman Rushdie, the writer musician Patti Smith and former Downing Street adviser Dominic Cummings. […]
Research by the Center for Countering Digital Hate, a campaign group, showed that Mercola’s newsletters made a minimum of $1m a year from charging subscribers an annual fee of $50, with Berenson making at least $1.2m from charging people $60. Three other vaccine sceptic newsletters, from tech entrepreneur Steven Kirsch, virologist Robert Malone and anonymous writer Eugyppius, generate about $300,000 between them.
Ich habe darüber schon an anderer Stelle in Nexus geschrieben: Substack und der gesamte Megatrend der Creator-Economy, zu dem Substack gehört, sind das, was der vernetzten Öffentlichkeit gefehlt hat, weil hier nachhaltige Kleinteiligkeit (Vielfalt!) entsteht. Gleichzeitig heißt das aber natürlich auch, dass Dinge wie Hass und Falschinformationen sehr lukrativ werden können.
Im Falle von Substack und Impfgegnern kann man sehen, dass das wir die letzten Jahre gesehen haben, erst der Anfang gewesen sein könnte. Weil Dienste wie Substack es einfach machen, ein lukratives Geschäftsmodell zu finden, ja, quasi in eins reinzustolpern.
Vor ein paar Jahren noch wäre dafür technisches Wissen notwendig gewesen.
Die Substack-Gründer haben darauf geantwortet und während ich ihren Standpunkt nachvollziehen kann, kann ich ihm nicht komplett zustimmen:
Last year, in an interview with the New York Times, anthropologist Heidi Larson, founder of the Vaccine Confidence Project, said that efforts to silence people who doubt the efficacy of the Covid-19 vaccines won’t get us very far.
“If you shut down Facebook tomorrow,” she said, “it’s not going to make this go away. It’ll just move.” Public health solutions, then, would have to come from a different approach. “We don’t have a misinformation problem,” Larson said. “We have a trust problem.”
This point rings true to us. That’s why, as we face growing pressure to censor content published on Substack that to some seems dubious or objectionable, our answer remains the same: we make decisions based on principles not PR, we will defend free expression, and we will stick to our hands-off approach to content moderation. While we have content guidelines that allow us to protect the platform at the extremes, we will always view censorship as a last resort, because we believe open discourse is better for writers and better for society.
This position has some uncomfortable consequences. It means we allow writers to publish what they want and readers to decide for themselves what to read, even when that content is wrong or offensive, and even when it means putting up with the presence of writers with whom we strongly disagree.
Fassen wir die Position zusammen:
Wenn wir bestimmte Stimmen ausschließen, dann gehen sie einfach woanders hin. Das ist das Online-Äquivalent zu „wenn wir keine Waffen liefern, dann machen es andere“.
Besonders für Dienste wie Substack funktioniert dieses Argument nur beschränkt: Wenn es wirklich so einfach und trivial wäre statt Substack einen anderen Dienstleister zu nehmen, warum kann Substack dann 10% von seinen Autor:innen nehmen? Oder anders gesagt: Machen sie kein gutes Produkt, dass sie ernsthaft argumentieren können, sie seien komplett austauschbar?
Auch der Aussage, dass ein Ausschluß nur Misstrauen säen würde, kann ich nur bedingt mitgehen:
But we believe this approach is a necessary precondition for building trust in the information ecosystem as a whole. The more that powerful institutions attempt to control what can and cannot be said in public, the more people there will be who are ready to create alternative narratives about what’s “true,” spurred by a belief that there’s a conspiracy to suppress important information. When you look at the data, it is clear that these effects are already in full force in society.
Allerdings dürften wir hier auch wieder eine Verschiebung der Plattform-Assoziation sehen. Substack ist zwar eine Newsletter-Plattform, mit Kommentarfunktion, Podcast- und bald Videofunktion etc., aber sie sehen sich, trotz ihres Anschub-Programms, als einen Newsletter-Anbieter wie Mailchimp oder ConvertKit.
Seien wir ehrlich: Impfgegner, die reine Newsletter über letztgenannte Dienste verschicken, würden nicht im Guardian auftauchen. Nicht zuletzt weil ihre Aktivitäten privat wären und ihre Reichweite und Einkünfte schwerer bis gar nicht ermittelbar wären.
Aber selbst wenn Größe und Reichtum eines solchen Impfgegner-Newsletters öffentlich würde. Wer nach stärkerer Moderation bei Substack ruft, würde bei dieser hypothetischen Situation größere Bauchschmerzen haben, von Mailchimp oder ConvertKit eine Moderation der verschickten Inhalte zu fordern.
Vielleicht weniger starke Bauchschmerzen bei ConvertKit. Weil dieser Emaildienstleister auch Paymentfunktionen direkt mitbringt.
Aber was ist mit Stripe?
Substack, Patreon, ConvertKit, Ghost, sie alle setzen für Payments auf Stripe. Ist es ein Problem, eine Verantwortung für Stripe, dass über ihr Paymentangebot auf Substack Impfgegner reich werden?
Ich sage nicht, dass ich auf all diese Fragen endgültige Antworten habe. Ich tendiere, aber ich sitze noch nicht.
Was ich mit diesen Ausführungen sagen wollte ist, dass wir als Gesellschaft uns langsam an dieses Thema herantasten. Und dass unser Herantasten oft über nicht wahrgenommene, oft eher gefühlsgetriebene Plattform-Assoziationen, also Zuordnungen der Inhalte an unserer Ansicht nach Verantwortliche, geschieht.
Lassen wir die Gesellschaftssicht einmal außen vor. Was wäre für Substack als Unternehmen das richtige Vorgehen? Substack tappt hier in die gleiche Falle wie seinerzeit Reddit. Eine absolute (sehr amerikanische) Sicht auf Meinungsfreiheit kombiniert mit der schieren möglichen Bandbreite an ‚Qualität‘ im Netz führt immer zur Situation eines vollgekackten Swimmingpools. Klar kann man als Plattformprovider immer sagen, dass man neutral ist und auf der eigenen Plattform jede:r frei ist, aber niemand will in einem Swimmingpool neben Kacke schwimmen auch wenn nur ein Badegast von 10.000 reingekackt hat. (Bei diesem Bild stellt sich allerdings auch die Frage, ob wir über einen großen Swimminpool oder viele kleine Pools nebeneinander sprechen, also wie sehr und ob überhaupt man miteinander interagiert.)
Die Frage für Substack und co. ist also, wie stark die Assoziation mit der Kacke für zum Beispiel die anderen Newsletter-Autoren ist/sein wird und wie sehr es deren Entscheidung beeinflussen wird, zu Substack zu gehen oder Substack zu verlassen, und wie, im nächsten Schritt, die öffentliche Wahrnehmung des Angebots Substack sein in der Zukunft sein wird.
Nochmal: Das kann, muss aber nicht ein Problem für Substack werden. Es hängt stark davon ab, wie sehr die Öffentlichkeit einzelne Inhalte und Plattform miteinander verbinden werden.
Nur eins ist sicher: Ein reiner SaaS-Anbieter ohne zentrale Website wie Ghost hat in dieser Hinsicht ein geringeres Risiko als Substack oder Steady, die beide immer Gefahr der Assoziation laufen.
Und das obwohl (nicht nur) Impfgegner auf Ghost dank der niedrigeren Gebühren dort noch mehr verdienen können..
Dieser Text ist zuerst in Nexus 96: Rogan & Impfgegner & Plattform-Assoziation, Shopifys Logistiknetzwerkprobleme & Lösung am 28.01.2022 erschienen.
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