19. Apr. 2010 Lesezeit: 2 Min.

Re:publica und Journalisten

qualitaetskindisch

Es sind über die letzten Tage einige eigenwillige Artikel über die vor ein paar Tagen zu Ende gegangene re:publica 2010 in diversen deutschen Tageszeitungen entschieden. Wer einen (etwas aufgeregten) Überblick über die Reaktionen lesen will, wird bei Thomas Knüwer fündig.

Warum finden sich für Print arbeitende Journalisten auch 2010 von der Existenz von Bloggern grundsätzlich so angegriffen, dass sie beispielsweise nicht müde werden, lange Artikel über etwas vermeintlich Bedeutungsloses zu schreiben? Ist es Neid, wie Knüwer mutmasst?

Es gibt nach Meinung von Soziologen zwei Formen von Neid. Der weiße ist einer, der einen antreibt: Was jemand anders erreicht hat, will man auch. Die andere Version ist der schwarze Neid: Ich will das Beneidete für mich haben oder es dem andere wegnehmen. In den USA, schrieb mein ehemaliger Chefredakteur Bernd Ziesemer in einem seiner Bücher, dominiere der weiße Neid – in Deutschland der schwarze.

So ist die Welt der Medien und der Blogs wohl nichts anderes als ein Abbild der deutschen Gesellschaft. Sie ist keine Szene und keine Community – sie ist der bundesrepublikanische, schwarzneidische Alltag.


Zu einem Teil ist es vielleicht Neid. Zu einem guten Teil aber sicher auch grundsätzliche Abneigung gegen das die eigene (berufliche) Zukunft bedrohende Internet, die sich dann regelmäßig in der Berichterstattung über Blogger entlädt.

Der Wandel von der analogen Welt hin zum Internetmarkt bedeutet für betroffene Unternehmen in der Regel ein Umstellen von Geschäftsmodellen. Nicht wenige über Jahrzehnte gewachsene Strukturen sind dazu nicht in der Lage.

Journalismus wird es weiter geben, aber seine Refinanzierung, seine Umsetzung und die Institutionen, von denen er kommen wird, werden sich ändern. (sie ändern sich bereits)

Der Journalist an sich ist also nicht automatisch betroffen. Betroffen sind zum Beispiel Redakteure, die vielerorts überflüssig werden. Und schlechte Journalisten. Also die, die innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen zurechtkommen, aber nicht anpassungsfähig sind. Solche Journalisten, die Texte veröffentlichen können, weil sie innerhalb des etablierten Beziehungsgeflechts in den bestehenden Hierarchien gut positioniert sind und nicht, weil ihre Texte beim Leser großen Anklang finden.

Vielleicht werden solche oft mit fehlerhaften Fakten, Halbwahrheiten und grundsätzlicher Abneigung gespickten Texte, wie man sie dieser Tage wieder über die re:publica lesen konnte, nur von zwei Sorten von Journalisten verfasst:

  • Solche Journalisten, die die Auftragsarbeit erledigen, die ihnen vom Redakteur vorgesetzt wird, egal ob das Ergebnis die Realität widerspiegelt oder nicht.
  • Schlechte Journalisten.

So oder so: Man sollte bei diesen Artikeln, so ärgerlich sie auf den ersten Blick sein mögen, eins nicht vergessen: Keine einzige Schmutzkampagne der letzten Jahre in den einschlägigen deutschen Medien, die das Internet als Hort allen Übels hingestellt hat, hat zu sinkender Internetnutzung oder sinkenden Nutzerzahlen bei den erfolgreichen Internetdiensten geführt. Im Gegenteil: Alle Zahlen bezüglich der Internetnutzung gehen permanent nach oben.

Die Gesellschaft geht online. Unweigerlich. Egal, ob mit oder ohne denen, die verzweifelt dagegen anschreiben.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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