22. März 2013 Lesezeit: 3 Min.

Ringelpiez mit Anklicken

Sascha Lobo fasst das Versagen beim Presseleistungsschutzrecht in einem längeren Blogeintrag lesenswert zusammen. Ein Auszug:

Zwar haben sich drei, vier, fünf Vereine gegründet, D64, Digitale Gesellschaft, C-Netz. So froh ich war und immer noch bin, dass es diese Vereine gibt, so sehr ich sie alle unterstützen möchte – wer zum Wiegen geht, wird gewogen, wer in der Politik etwas bewirken will, muss sich an der Wirkung messen lassen. Aber das Leistungsschutzrecht ist der Beweis, dass sie und damit auch wir, die Netzgemeinde, im entscheidenen Moment letztlich nichts gebracht haben, alle miteinander: Wirkung Null wäre noch geprahlt. Was für eine fatale, politische Demontage der sachkundigen Netzpolitiker aller Parteien. Und natürlich wird das Oberwasser auf der anderen Seite in Zukunft alle netzpolitischen Vorhaben erheblich erschweren. Das Leistungsschutzrecht ist der Beweis, dass man gegen die Netzgemeinde noch das allerbekloppteste Gesetz durchbringen kann: sie hat nicht die Kraft, es zu verhindern.

Ich stimme nicht jeder Aussage in dem Artikel zu, aber er hat an sehr vielen Stellen recht.

Vor allem die mangelnde Vernetzung (welcher auch der für die Überschrift herhaltende Loboismus entspringt) etwa zwischen Aktivisten und Unternehmern hilft bei diesen Themen überhaupt nicht weiter:

Wir, die Netzgemeinde, sind ein Knäuel aus tausend Fäden, untereinander doppelt und dreifach hochvernetzt, Verbindungen zur Außenwelt: dürftig bis gar nicht gewünscht.

Es ist natürlich richtig, hier ordentlich auszuteilen. Die deutsche Presse sah sich beim Presseleistungsschutzrecht einem schwachen Gegner gegenüber. Aber der war nicht 'nur' die 'Netzgemeinde' (ach) sondern alle Juristen und Rechtsexperten, die nicht Mitarbeiter von Verlagen sind und praktisch alle Wirtschaftsverbände, die nicht von Presseverlagen organisiert werden.

Die gesamte deutsche Zivilgesellschaft (oder zumindest der interessierte Teil von ihr) scheint ohnmächtig zu sein, wenn Axel Springer, FAZ, Süddeutsche und Burda Media gemeinsam unbedingt etwas wollen. Dass das früher so war, ist nicht verwunderlich. Dass das auch 2013 noch so ist, ist bitter.

Die etablierten Medien müssen nur ausdauernd genug lügen, bis sie, so scheint es, in Deutschland alles bekommen können, was sie wollen. Falls jemals die Wut hierüber nachlässt, lohnt sich ein erneuter Blick in das Blogarchiv von Stefan Niggemeier.

Haben 'wir' versagt? Ja.

Aber auch all die Juristen und Rechtsexperten, all die Wirtschaftsverbände, die deutschen Ableger von US-Unternehmen und alle deutschen Internetunternehmen, sie haben auch alle versagt.

Warum wurde aus der breiten Front keine sichtbare Front?

Wer auch versagt hat: Die Journalisten Deutschlands. Eine ganze Branche, die sich der Wahrheitsfindung verschrieben hat, duldet entweder stillschweigend eine jahrelange Lügenkampagne in ihrem Namen, ist diesbezüglich desinteressiert oder aktiv daran beteiligt. Ich bitte darum, über den vorhergehenden Satz gern 5 bis 50 Minuten nachzudenken.

Wer, der all die Artikel über das Presseleistungsschutzrecht gelesen hat, denkt heute zum Beispiel nicht, dass nicht nur bei Axel Springer sondern auch etwa, als Beispiel, in der FAZ-Redaktion anscheinend nur opportunistische Arschlöcher arbeiten, die sich gern selbst die Tasche volllügen, indem sie erst so etwas wie eine Debatte bei sich ermöglichen wenn alles vorbei ist. Bevor der Drops gelutscht ist, werden Kritiker ignoriert und nur am Presseleistungsschutzrecht direkt beteiligte Personen, als unabhängige Experten verkleidet, auf die Bühne gestellt. Und dazwischen die eine oder andere unwidersprochene Lüge von dem einen oder anderen Redakteur. Warum gab es in keiner einzigen Lügenredaktion von Süddeutsche über Focus bis FAZ auch nur einen Journalisten, der anonym außerhalb der Verlagspublikationen interne Vorgänge an die Öffentlichkeit gebracht hat? Die Möglichkeit dafür wäre da gewesen. Was sind das für Journalisten, auf die wir hier in Deutschland angewiesen sind?

Sascha Lobo holt zur vollen Breitseite aus und er erwischt doch nur einen Teil der Schuldigen an der Misere.

Das Presseleistungsschutzrecht hat auch abseits von Twitter und Blogs gezeigt, wie schlecht es um Deutschland steht.

Wir haben isolierte Netzaktivisten und eine schwache vernetzte Öffentlichkeit.

Wir haben eine akademische Welt, die zur Selbstorganisation abseits der traditionellen Presse kaum in der Lage scheint.

Wir haben eine Industrie, im Internet wie abseits des Internets, die zur Selbstorganisation branchenübergreifend abseits der traditionellen Presse nicht in der Lage ist.

Wir haben eine journalistische Branche, die mit Lügen kein Problem hat.

Und wir haben opportunistische Politiker an der Macht und in der Opposition, die mehrheitlich weder das Netz fürchten noch lieben, sondern das Papier fürchten und lieben.

Die politische Nicht-Debatte zum Presseleistungsschutzrecht hat auch noch einmal deutlich gemacht, dass die meisten Politiker Deutschlands überhaupt keine Beziehung zum Internet haben, weder in die eine noch in die andere Richtung. "Egal!", das ist ihnen dieses komische Ding, von dem die Jüngeren ständig faseln, und das sind in Deutschland alle unter 45, dem deutschen Durchschnittsalter.

Der Entwicklung des Internets wird das keinen Abbruch tun, weil ein solches Gesetz etwa in den USA niemals in Kraft treten wird wie ich auch in der jüngsten Ausgabe im Podcast ausführe. Es wird einzig die Position des Standortes Deutschland und anderer europäischer Länder zum Negativen verändern, die dem Vorbild Deutschlands nun folgen werden. Zusätzlich werden wir als Gesellschaft insgesamt die negativen Folgen zu spüren bekommen.

Deutschland hat gerade begonnen, sich in die entgegengesetzte Richtung als die USA zu bewegen, was den gesetzlichen Rahmen für das digitale Zeitalter anbelangt.

Angesichts der Leistungsaufzählung beider Länder, was das Internet angeht: Auf welches Land würden Sie setzen?

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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