Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle laut dapd in seiner Rede auf der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse:
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach sich bei der Eröffnungsfeier für verbindliche Regeln zum Schutz von über das Internet beziehbaren Büchern und von Musik aus: "Geistiges Eigentum darf nicht schlechter gestellt werden als dingliches Eigentum." Digitalisierte Inhalte bedürften desselben Schutzes wie Werke in Buchhandlungen und Bibliotheken: "Wer den Geist nicht schützt, verliert ihn."
Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll.
Es gibt bereits verbindliche Regeln zum Schutz von immateriellen Werken online wie offline: Das Urheberrecht. Dass dieses auch durchgesetzt wird, kann jeder der Zehntausenden (wahrscheinlich sogar Hunderttausenden) bestätigen, die in den letzten zehn Jahren von der Plattenindustrie abgemahnt wurden. Dass die Durchsetzung der Regeln wirtschaftlich nicht ergiebig und auch sonst nicht sonderlich erfolgreich ist, ist eine Folge der Entwicklung der Technologie. (Die Technologie gibt es, die Technologie nimmt es wieder.) Deswegen ist aber noch kein Markt untergegangen, ganz im Gegenteil.
"Geistiges Eigentum" ist ein irreführender Kampfbegriff für das Immaterialgüterrecht, der genau für den Denkfehler gedacht ist, den der Außenminister hier macht: das Gleichsetzen mit physischem Eigentum. (Außenminister Westerwelle ist damit beileibe nicht allein.)
Würde die Gleichstellung auch bedeuten, dass man gebrauchte MP3s oder gebrauchte E-Books weiterverkaufen kann? Oder gilt die Gleichstellung nur für die Produzenten und Rechte-Inhaber und nicht für die Leser, Hörer, Zuschauer? Die Bürger?
Was soll eine Gleichstellung vom Immaterialgüterrecht mit dem dinglichen Eigentum überhaupt bedeuten? Dass jedes produzierte Kulturgut niemals in den Besitz der Gesellschaft als gemeinfreies Gut übergehen darf? Warum sollte das erstrebenswert sein? Würde das zu gesteigerter Kulturproduktion führen? Nein.
Immaterielle Güter unterscheiden sich ganz wesentlich von physischen Gütern. Nicht nur können sie nicht gestohlen werden (siehe auch ausführlichst hier). Die zeitliche Beschränkung von Urheberrechten ist kein Unfall sondern hat einen ganz wesentlichen Grund: Wissen, Informationen, Kultur baut immer auf das Bestehende auf. ("Auf den Schultern von Giganten.") Das heißt, je mehr Informationen wir frei und ohne Restriktionen in ihrer Verwendung verfügbar machen, desto effizienter findet die Verteilung des Wissens statt und desto größer ist auch die darauf aufbauende Produktion neuer Kultur, neuer Kunst und neuen Wissens.
Kosten und Nutzen des Urheberrechts sind unmittelbar miteinander verbinden: Je mehr man den einzelnen Produzenten an Rechten einräumt, desto mehr nimmt man der Gesellschaft weg; und umgekehrt. (Urheberrecht bedeutet ja gerade die Einschränkung von Nutzung des Werkes.)
Die Verjährungfrist für das Urheberrecht muss demnach lang genug sein, damit ein Anreiz für das Erschaffen neuer Werke besteht. Erwirtschaftung der entstandenen Kosten und des Profits kommen dann teilweise über das Verwertungsmonopol. (Allerdings in einem weitaus geringerem Ausmaß als oft angenommen. Aber das ist ein Artikel für einen anderen Tag.) Die Verjährungsfrist sollte allerdings auch nicht unnötig länger sein, weil das wiederrum die Kosten für die Gesellschaft erhöht, ohne zusätzlichen Nutzen zu stiften. Vor diesem Hintergrund ergibt ein etwa zeitlich unbeschränktes Urheberecht keinen Sinn.
Oder anders: "Wer den Geist nicht frei lässt, verliert ihn."
Grundsätzlich wäre es interessant zu erfahren, warum die FDP, also die Partei, die so stark wie keine andere an die Macht des Marktes glaubt, in diesem Fall Monopole dem Wettbewerb vorzieht. (Urheberrecht ist ein vom Staat zugeteiltes, zeitlich beschränktes Verwertungsmonopol.)
Lange Rede, kurzer Sinn: Das Immaterialgüterrecht mit dem physischen Eigentum gleichzusetzen ist eine vollkommen widersinnige Idee, die Verständnis von Kultur, Recht und Wirtschaft vermissen lässt und deren Umsetzung unserer Gesellschaft in einem Ausmaß schaden würde, das gar nicht ermessbar ist.
Kommen wir nun zu etwas völlig anderem:
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