Vor einigen Tagen hatte ich hier das Henne-Ei-Problem auf zweiseitigen Märkten und Strategien von Plattform-Providern, dieses anzupacken, anhand von AdTaily, Kachingle und Flattr angesprochen.
Auf dem Kachingle-Blog ist eine Replik zu dieser Diskussion erschienen, auf die ich hier kurz eingehen werde (oder zumindest nehme ich an, dass es eine Replik ist. Denn obwohl sich kein Link im Kachingleblog-Artikel findet, habe ich bei einer Google-Suche keine anderen Artikel zu zweiseitigen Märkten oder two-sided markets und Kachingle gefunden, als den hier auf neunetz.com und jenen von Stefan Mey).
Die Kachingle-Gründerin Cynthia Tapaldos hat sich in dem Artikel zunächst an einer Unterscheidung zwischen zweiseitigen Märkten und Kachingle versucht:
However the market for voluntary micropayments differs in that the cost of using multiple systems is trivial.
Die monetären Kosten mögen niedrig sein. Alle Transaktionskosten zusammen genommen sind aber nicht trivial, zumindest nicht, solang die Plattform noch nicht etabliert ist. Was ist damit gemeint: Natürlich ist es günstiger als Endnutzer etwa ein Micropayment-System wie Kachingle einzusetzen und daneben noch weitere, als etwa mehrere Geräte mit inkompatiblen Standards wie Blu-Ray- und HD-DVD-Playern zu besitzen (auch letztere stellen zweiseitige Märkte dar).
Aber: Die Transaktionskosten summieren sich auf. Die Einrichtung kostet Zeit, wenn auch nicht unbedingt Geld. Und das auf beiden Seiten. Das bedeutet, dass nicht unendlich viele verschiedene untereinander inkompatible Micropayment-Systeme eingesetzt werden.
Und deshalb ist Kachingle auch noch nicht erfolgreich: Der Nutzen des Systems scheint die Kosten der Einrichtung auf beiden Seiten der Nutzergruppen noch nicht zu rechtfertigen. Die Kosten sind also niedrig, aber offensichtlich nicht trivial für den Erfolg der Plattform.
Tapaldos schreibt weiter:
Most other two-sided markets needed large economies of scale to break-even with development costs, but micropayments do not need that – they can start from one niche and then jump to the next one.
Es ist richtig, dass die meisten offensichtlichen zweiseitigen Märkte erst ab einer bestimmten Masse an Nutzern erfolgreich sind und diese Masse oft recht groß ist im Vergleich zu anderen Märkten. Beispiele dafür sind etwa technische Standards oder Kreditkartensysteme. In diesen Beispielen muss der Plattformprovider zunächst hohe Anfangsinvestionen aufbringen.
Aber das ist nicht das entscheidende Merkmal zweiseitiger Märkte. Das entscheidende Merkmal: je mehr Teilnehmer einer Gruppe die Plattform einsetzen, desto attraktiver wird die Plattform für die Nutzer der anderen Gruppe und umgekehrt.
Der folgende Nebensatz ergibt wenig Sinn:
but micropayments do not need that – they can start from one niche and then jump to the next one.
Tapaldos, vermute ich, verwechselt auf der Seite der Publisher die einzelnen Nischen mit den Publishern. Letztere sind aber diejenigen, die man einzeln auf die Plattform bekommen muss, unabhängig von der Nische.
Cynthia Tapaldos schreibt weiter:
In fact, in pure economic terms, Kachingle is not in a two-sided market as in those markets both the buyers and sellers have price flexibilities, whereas in any voluntary contribution system only the “buyers” are paying a fee.
Das ist ein interessanter Gedanke. Natürlich besteht auch bei Kachingle und dem Einsatz von Systemen mit freiwilliger Bezahlung unterschiedlich starker Nutzenanwachs von Gruppe zu Gruppe, der sich in unterschiedlich starken indirekten Netzwerkeffekten ausdrückt. Es ist zweifellos ein Sonderfall, aber die zu beachtenden Aspekte bleiben gleich.
Kommen wir zu den Strategien, die Kachingle diskutiert und teilweise umsetzt:
1. Jedes Huhn muss sein eigenes Ei legen:
Jede Site auf Kachingle muss gleichzeitig ein Kachingle-Endnutzer sein. Kachingle hat sich dagegen entschieden:
We considered making this a requirement but did not as there are many sites that are not “owned” by a single person (Carta.info, DailyCamera.com are obvious examples).
Neben diesem Argument gibt es noch ein weiteres gegen diese Strategie: sie funktioniert nicht. Publisher gleichzeitig zu zahlenden Kunden zu machen, ist Augenwischerei. Damit wäre jeder aus Gruppe A (Publisher) zwar auch gleichzeitig in Gruppe B (Endnutzer), aber damit ist noch nicht die Attraktivät für die Gruppe B sichergestellt. Diese ist noch nicht auf der Plattform, ihre Größe wird künstlich aufgeblasen. (Und die Plattformteilnahme für Gruppe A wären solang auch defizitär: Das Geld fließt von Gruppe A wieder Gruppe A zu, abzüglich Kachingle-Gebühren.)
2. Sehr große Sites auf die Plattform bekommen:
Das ist eine klassische Strategie auf zweiseitigen Märkten: Der Plattform-Provider bekommt attraktive Nutzer aus einer Gruppe auf die Plattform, so dass die Plattform sofort für die andere Gruppe attraktiver wird. Beispiele sind etwa Filialen großer Handelsketten(=Nutzer) in Einkaufszentren(=Plattformen), die sofort mehr Kunden(= Nutzer der zweiten Gruppe) anlocken.
In der englischsprachigen Literatur nennt man diese Nutzer Marquee-User. Ich suche noch nach einer passenden Übersetzung für diesen Begriff.
3. Eine API (Programmierschnittstelle) für Blog-Communities entwickeln:
Essentiell bedeutet das, die Kosten für die Nutzung zu senken. Wichtig, eben weil diese Kosten niedrig aber nicht vernachlässigbar sind, solang die Plattform nicht etabliert ist.
4. Mit Partnern arbeiten, die die Bekanntheit von Kachingle verbessern:
Tapaldos schreibt:
Now that we have a live working product, we are contacting (and being contacted by) major players in the payment, blog, and general content platform space. [..] This effort could not be begun however until Kachingle went live as attempting to partner while still in closed beta is typically not successful. Kachingle went public live in mid-February.
Mir ist nicht ganz klar, wie sich dieser Punkt von Punkt 2 unterscheidet.
5. Die viralen Teile von Kachingle implementieren:
Tapaldos schreibt:
We launched Kachingle without the viral components completed (e.g. email notifications, Twitter integration, Facebook integration). All of these components are in development and will be released shortly. Clearly reaching into users’ social networks is probably the most powerful way of attracting additional Kachinglers (and sites).
In der Tat können Elemente in diesem Bereich die Attraktivität der Plattform enorm anheben. Warum Kachingle zuerst die finanzielle Seite anging und den Rest jetzt nach und nach implementiert, kann man im Kachingle-Blog nachlesen.
Fazit : Während ich nicht jeder Aussage von Kachingle-Gründerin Cynthia Tapaldos zustimme, bin ich nun etwas zuversichtlicher, was die Zukunft von Kachingle angeht.