Hi,
Nils Minkmar empfiehlt in seinem Newsletter die Netflix-Serie „Ripley“. Dem kann ich mich nur anschließen. Großartige erste Staffel.
Interessant an „Ripley“ ist für uns allerdings auch die Geschichte hinter der Produktion. Der US-Pay-TV-Sender Showtime hatte die Serie 2019 in Auftrag gegeben. Showtime wurde in der Zwischenzeit mit Paramount+, dem Streamingangebot der Mutter Paramount, zusammengeführt. Dort ist die neue Richtlinie, Franchises, also verlässlichere Hits en masse zu produzieren. Die fertig produzierte Staffel hatte deshalb kein Zuhause mehr und landete schließlich bei Netflix. (Hollywood Reporter)
Das ist seit Jahren der große, wenn auch plumpe, Vorteil von Netflix. Die schiere Größe des Streamers verschafft ihm die größten Geldkoffer und damit wird er zur ersten Anlaufstelle, wenn TV-Projekte auf den Markt kommen. Das alles gilt noch mehr für Lizenzierungen, die von US-Streamern für den US-Markt produziert werden, dort exklusiv beim eigenen Angebot laufen und international lizensiert werden, um die Produktionskosten wiederzubekommen. Man kann durchaus auch festhalten, dass ein Verzicht auf das fertig produzierte Ripley, um Kosten zu sparen, nicht unbedingt eine gute Entscheidung war. Sicher auch eine Folge der Tatsache, dass das Wachstum im TV-Streaming nicht mehr überall so stark ist wie vor ein paar Jahren. Und: Second-Tier-Streamer haben es besonders schwer, wie wir hier schon öfter diskutiert haben.
Diese öffentliche Ausgabe des Nexus-Briefings erscheint an einem Mittwoch. Die bisherigen öffentlichen Ausgaben erschienen Dienstags. Ich überlege auf Mittwoch und Freitag umzusteigen. (Freitags erscheinen die Briefings für Mitglieder)
Nächste Woche erscheint die öffentliche Ausgabe des Briefings am Dienstag, weil Mittwoch Feiertag ist. (1. Mai)
Eine schöne Mitte der Woche
Marcel
Im Fokus dieser Ausgabe:
- Multimodale KI-Modelle von Apple und Google können zu Entbündelung von Apps führen.
- funk setzt eine eigene, mit 120.000 manuell gelabelten Kommentaren trainierte KI zur Auswertung von Kommentaren und eine „Shitstorm-Detection“ ein.
- Meta verfolgt mit lizensierbarem HorizonOS für VR/AR, Open-Source-KI-Modellen wie Llama 3 und der Öffnung von Threads für ActivityPub eine Strategie der Offenheit.
- Amazon ist mit 17.000 Ladestationen für Lieferfahrzeuge an 120 Lagerhäusern der größte private Anbieter von Ladestationen in den USA.
- Temu und Shein sind groß, aber noch größer als GMVs vermuten lassen, weil sie mit Billigprodukten mehr Frequenz und Präsenz bei den Kund:innen haben.
- US-Buchbranche: In den USA verkaufen 50% der Bücher weniger als ein Dutzend Exemplare und selbst Spitzentitel haben Verkaufsziele von nur 75.000 Stück, was im Onlinepublishing ohne Hürde übertroffen wird.
- und mehr
Inhaltsverzeichnis
Themen der vorherigen Ausgabe
Nexus 198: Llama 3 im Netzwerk, EU vs. Facebook, RLHF in Nigeria, Hyundai Atlas, Mercedes Level 3:
🤖 KI
KI im mobilen Betriebssystem wird Apps entbündeln & damit weiter entmachten
Für die FAZ habe ich über die bereits heranrollenden KI-Features bei Android und iOS geschrieben.
Apple hat mit der Cornell University ein multimodales KI-Modell erforscht, das den Screen analysieren kann und damit in die Lage versetzt wird, die App zu bedienen. Google hatte bereits Anfang des Jahres mit „Circle to Search“ vorgelegt.
Toll für die User, für die App-Anbieter stellt das einen potenziell massiven Machtverlust gegenüber den mobilen Betriebsystemen dar.
Hier geht’s zur kompletten Analyse in der FAZ, in der ich auch in einem Absatz das KI-Phone der Telekom einordne und alle daran erinnere, dass nicht jede App die Macht von Netflix hat:
Ganz allgemein gesprochen, stellt ein multimodales Modell, das über der grafischen Oberfläche als zusätzlicher, flexiblerer, weil plattformgetriebener Zugang liegt, eine auf mittlere Sicht massive Verschiebung der Wertschöpfung im Ökosystem der mobilen Apps dar. Und zwar weg von den Apps und hin zum Betriebssystem.
Denn damit werden die Apps, die wir uns als Bündel an Funktionen vorstellen, entbündelt. Diese Entbündelung reduziert im nächsten Schritt, wie wertvoll die einzelne App im Auge der Nutzer ist. Wenn die To-do-App nur noch ein kleines Puzzleteil statt eines umfassenden Produktivitätsprogramms ist, wird sie austauschbarer.
heise KI Pro
heise startet einen neuen Dienst:
Das Angebot bündelt fundierte Hintergründe, Analysen und Best Practices zu aktuellen Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) und richtet sich an Unternehmen aller Größen und Branchen im DACH-Raum.
Ziel von heise KI PRO ist, Unternehmen bei der Entscheidungsfindung für den effizienten Einsatz von KI-Werkzeugen zu unterstützen und die Abonnentinnen und Abonnenten miteinander zu vernetzen.
Sinnvoll.
Die Themen und der Bedarf nach Einordnung werden die nächsten Jahre weiter zunehmen.
Use Case: Wie funk KI einsetzt
Das ist einer sehr offensichtlicher, sehr sinnvoller Einsatz von KI bei Medien, Tibor Martini:
Sehr spannend: funk hat rund 120.000 Kommentare manuell gelabelt und damit eine eigene KI zur Auswertung von Kommentaren trainiert.
Außerdem haben sie eine „Shitstorm-Detection“: Einmal pro Stunde werden alle Kommentare automatisch gecheckt. Gibt es mehr negative Kommentare als üblich, wird die Redaktion sofort informiert.
Sentimentanalysen sind mit den heutigen Sprachmodellen auf sehr hohem Niveau möglich geworden.
Funk ist das „Content-Netzwerk“ der ARD und ZDF. Da sich funk an jüngere Menschen richtet und seine Inhalte über die Videonetzwerke hinweg ausspielt, kann die Situation durchaus unübersichtlich werden.
📱💸 Big Tech
Das neue Meta-Playbook: Wird Horizon OS das Android für AR/VR?
Meta verfolgt gerade ein drei Stellen eine sehr ähnliche Strategie, die ich im heutigen FAZ-Briefing das neue Meta-Playbook nenne.
Einen Tag vor der Verkündung, dass Meta das Betriebssystem hinter den Quest-Headsets als HorizonOS lizensierbar macht, hatte ich (für mich rückblickend mit lustigem Timing) festgestellt, dass Meta an zwei Stellen einen sehr ähnlichen Ansatz fährt. Da war schon der Nukleus für eine Analyse. Und so war ich gestern entsprechend begeistert. Drei! Ein Trend!
- Der eigentliche Anlass für meine Überlegungen war das neue Llama 3. Meta veröffentlicht seine KI-Modelle als Open Source. (Mehr oder weniger OS, zur Lizenzsituation hatte ich auch schon mal etwas in der FAZ geschrieben.)
- Außerdem öffnet Meta bekanntlich sein jüngstes Social Network Threads für ActivityPub. Etwas völlig Neues für den Konzern.
Und jetzt also auch ein frei lizensierbares Betriebssystem für AR/VR.
Die Strategie ist erfolgversprechend, weil sie zugunsten der Skaleneffekte in Netzwerkmärkten, also für maximale Verbreitung, auf Restriktionen an ausgewählten Stellen bewusst verzichtet. Oder salopp gesagt: „Kommt alle zu uns!“ Jede solche Öffnung kann aber dank dieses Kontrollverlusts auch ungewollte Folgen haben.
Meta + Rayban + multimodale KI
Neuigkeiten bei den Ray-Ban Meta Smart Glasses:
- Meta führt das eigene multimodale KI-Modell für die Ray-Ban Meta Smart Glasses ein, KI soll vor allem dabei helfen, Objekte zu identifizieren, Zeichen zu übersetzen und Instagram-Texte(!) zu schreiben. (The Verge)
- Unterstützung für Videoanrufe über WhatsApp und Messenger, eine Freisprechfunktion für Apple Music und ein neues Brillenmodell. (The Verge)
Auch relevant: Meta kann seine offenen KI-Modelle in seine lizensierten oder in Kooperation gebauten Hardwareprojekte einbauen, und letztere damit besser machen. Und im nächsten Schritt, die Nutzung der Netzwerke verbessern. (Siehe Instagram-Integration)
Mir scheint langsam, dass die Meta/Ray-Ban-Kooperation stark unterschätzt wird. (Auch von mir noch?)
Die Größe der Großen: Amazon ist größter privater Anbieter von Ladestationen in den USA
Amazon hat so viele elektrische Lieferfahrzeuge, dass das Unternehmen der größte private Anbieter von Ladestationen in den USA ist. (Bloomberg)
To install 17,000 delivery van chargers at 120 warehouses, the company had to be flexible, patient and spend a lot of money.
Das lässt sich auf andere Bereiche übertragen, aber hier ist es schön anschaulich:
Die großen Tech-Konzerne sind an vielen Stellen so groß, dass sie an zum Teil unerwarteten Stellen die Größten werden.
Eine offensichtlichere Stelle: Es ist schwer, ein state-of-the-art LLM zu trainieren, ohne auf die Infrastruktur eines Hyperscalers (AWS, Azure) zuzugreifen. Daraus folgen Abhängigkeiten, notwendige Kooperationen, Investmentmöglichkeiten der großen US-Konzerne.
Das sind keine Dinge mehr, die man unter „Naja, Netzwerkmärkte haben halt Netzwerkeffekte und die Gewinner sind eben im ‚Virtuellen‘ groß.“ ablegen kann. Wir sprechen hier von den zum Teil größten CapEx-Ausgaben der westlichen Wirtschaften. In Atome, nicht Bits.
Siehe auch die Größe von Amazon als Lieferdienst, deren wirtschaftliche Folgen weit über die Menge an Ladestationen hinausgehen.
🛒 Onlinehandel
Wie groß/relevant ist Temu wirklich?
Philipp Klöckner in einer lesenswerten Analyse von Temu anhand der Zahlen, die man öffentlich finden kann, im manager magazin:
Temu liefert rund eine Million Pakete pro Tag in die USA, bestenfalls an sechs Tagen die Woche (also maximal rund 300 Millionen Pakete pro Jahr). Der Warenwert pro Paket wird von Experten auf 30 bis 50 Dollar geschätzt. Selbst wenn man dabei 50 Dollar Warenwert annimmt, kommt man nur auf einen Bruttowarenwert von 15 Milliarden Dollar in den USA. […]
Das würde zu einem Bericht passen, dass Temu in den USA rund 60 Prozent des gesamten GMV macht. Dann würde Temu insgesamt rund 25 Milliarden Dollar GMV machen. Inklusive der rund 15 Milliarden Dollar, die PDD bereits vor dem Launch von Temu in China gemacht hat, käme man also auf rund 40 Milliarden Dollar. Das entspricht ungefähr dem Umsatz von PDD Holdings für das Jahr 2023 (35 Milliarden Dollar). […]
Mit anderen Worten: Bei Temu scheint der Umsatz mehr oder weniger dem GMV zu entsprechen – so wie bei einem klassischen Händler.
Die Größe des GMV ist zwar eine wichtige, man könnte argumentieren die wichtigste Kennzahl, um die Bedeutung eines Marktplatzes am Gesamtmarkt einzuschätzen. Aber man muss sie in den jeweiligen Kontext einbetten.
Temu zum Beispiel: Temus maßgeblicher USP gegenüber den Kund:innen ist der geringe Preis der Waren.
In einem Temu-Paket mit Warenwert von 30 bis 50 Dollar sind Waren, deren Gegenwert auf Amazon und co. bei 100 Dollar und mehr liegen können.
Diese maßgeblichen Unterschiede in der Supply-Chain haben direkte Auswirkungen, etwa auf die Verdrängungseffekte am Markt. Die Billiganbieter wie Temu bewegen mit dem gleichen Umsatz sehr viel mehr Produkte.
Zahlen: Shein und Temu in der EU
Vor diesem Hintergrund sei auf die Nutzerahlen von Shein und Temu in der EU verwiesen:
- Shein hat laut eigener Aussage durchschnittlich 108 Millionen monatlich aktive Nutzer:innen in den EU-Mitgliedstaaten. (Nexus 191)
Exciting Commerce über die Position von Temu in Europa:
Temu liegt nach einem Jahr bereits auf Platz 5 mit 75 Millionen aktiven Nutzern (via).
Shein noch riesiger im Kontext
Die obigen Überlegungen gelten im Übrigen auch für Shein, und dort noch viel mehr. Shein ist riesig, auch wenn man den Kontext der niedrigen Preise nicht mitdenkt. In der EU liegt Shein nach aktiven Nutzer:innen auf Platz 2 der größten Onlinehändler, nur hinter Amazon.
Aber mehr noch: Für die Kund:innen deckt ein Shein-Paket mehr Kleidung ab, als sie für das gleiche Geld bei Zalando kaufen würden.
Oder aus Marktsicht: Angreifer, die vom unteren Ende des Marktes kommen, und dort bereits riesige Umsätze machen, sind noch größer, als die GMV-Zahlen im direkten Vergleich vermuten lassen.
Weil sie bei gleich hohem GMV viel mehr Frequenz/Präsenz bei den Kund:innen haben.
Vor diesem Hintergrund sei darauf verwiesen, dass Sheins 108 Millionen EU-Nutzer:innen 181 Millionen Amazon-Nutzer:innen gegenüberstehen.
Siehe zum Thema auch:
- Temus Erfolgsrezept: 4 Punkte, die Temu vom Rest unterscheiden
- Temus Plattformansatz in der Koordination der Lagerlogistik – Warum Temu so günstig ist (Mitglieder)
- Temu: Verluste pro Lieferungen; wurde von Logistiker subventioniert (Mitglieder)
- Was chinesische Marktplätze auszeichnet, was Temu auszeichnet (Mitglieder)
📺 Medienwandel und vernetzte Öffentlichkeit
Zahlen und Fakten zur heutigen US-Buchbranche
As Medienwandel as it gets: In den USA fand vor einiger Zeit eine M&A-Untersuchung statt, in welcher viele Daten der US-Buchbranche öffentlich wurden. elysian.books hat es zusammengefasst, No One Buys Books:
The Big Five publishing houses spend most of their money on book advances for big celebrities like Brittany Spears and franchise authors like James Patterson and this is the bulk of their business. They also sell a lot of Bibles, repeat best sellers like Lord of the Rings, and children’s books like The Very Hungry Caterpillar. These two market categories (celebrity books and repeat bestsellers from the backlist) make up the entirety of the publishing industry and even fund their vanity project: publishing all the rest of the books we think about when we think about book publishing (which make no money at all and typically sell less than 1,000 copies).
The DOJ’s lawyer collected data on 58,000 titles published in a year and discovered that 90 percent of them sold fewer than 2,000 copies and 50 percent sold less than a dozen copies.
50% verkaufen weniger als ein Dutzend Exemplare. In den USA! Kann man Bücher da überhaupt noch zur Öffentlichkeit zählen?
Tatsächlich lohnt sich eine Gegenüberstellung, wo heute wie viele Menschen erreicht werden können:
Penguin Random House US has guidelines for who gets what advance:
• Category 1: Lead titles with a sales goal of 75,000 units and up
• Advance: $500,000 and up […]
Is anyone else alarmed that the top tier is book sales of 75,000 units and up? One post on Substack could get more views than that…..
Bücher haben Prestige. Und werden das auch auf absehbare Zeit behalten. Aber diese Zahlen sind doch augenöffnend.
Und: Über so eine, man möchte sagen, desolate Branche brach Booktok wie ein Tsunami.
✴️ Mehr Wissenswertes
„Llama 3, Write an office memo justifying the fact that management has been replaced by squirrels. We are all being paid in acorns, now.“
Amüsanter, wie erkenntnisreicher Einblick, wozu selbst offene Modelle wie Llama 3 heute schon fähig sind. Hätte ein Mensch das Ergebnis geschrieben, niemand würde bestreiten, dass das kreativ war:
Ethan Mollick auf LinkedIn
Wie sehr Amazon den US-Onlinemarkt dominiert: Amazon Prime hat gerade einen neuen Höchststand von 180 Millionen Abonnements in den USA erreicht, was einem Anstieg von 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. (Bloomberg)
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