Michael Seemann fasst seine Thesen zum digital verursachten Kontrollverlust auf Carta (bzw. im einem Text eines Bands der Heinrich-Böll-Stiftung) zusammen:
Grund eins für den Kontrollverlust: Die Allgegenwart von Aufzeichnungsgeräten verknüpft die digitale Welt immer enger mit der analogen. Ist man Teil der Welt, wird man Teil des Internets sein.
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Grund zwei für den Kontrollverlust: Das Internet hat die Transaktionskosten für Information enorm gesenkt und tut es weiter. «Leaken» ist sozusagen die Standardeinstellung des Netzes.
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Grund drei für den Kontrollverlust wäre also: Daten werden übermorgen für Verknüpfungen offener sein als morgen.
Interessant ist, dass bis auf bei wenigen Ausnahmen im deutschen Diskurs die von Seemann postulierte Unabänderbarkeit mehr oder weniger ignoriert wird. Selbst progressivere Politiker argumentieren, zumindest öffentlich, zu WikiLeaks darüber, dass die Leak-Organisationen einem bestimmten Moralkodex folgen müssen, sonst müsse man eben gegen diese vorgehen und sie notfalls verbieten. Das geht vollkommen an der aktuellen Entwicklung vorbei. Eben genau dass zum Beispiel WikiLeaks oder auch unautorisiertes Filesharing nicht ohne weiteres kontrollierbar sind, machen sie zu wichtigen Themen unserer Zeit.
Die Abkürzung über die Moral- oder Ethikschiene führt elegant an der eigentlichen Debatte vorbei: Wir können weder WikiLeaks noch Filesharing ohne erhebliche Einschnitte in das Netz aufhalten. Wenn wir Deep Packet Inspection und ähnliches einführen, können wir vieles trockenlegen und damit noch viel mehr zerstören.
Denn natürlich lässt sich die unaufhaltbare Welle, die Michael Seemann im Text oben beschreibt, zumindest in Teilen (was die staatliche Kontrolle angeht) abbremsen: Aber eben nur, wenn man unfassbar hohe Dämme baut.
Sprich: Abbau von Bürgerrechten im digitalen Raum.
Das «Leaken» als Standardeinstellung des Netzes lässt sich weitgehend eindämmen, aber eben nur wenn man damit die Privatsphäre von allen Internetnutzern mit aus der Wanne schüttet.
Zur Debatte in Deutschland muss man auch festhalten, dass der CCC im eigenen ideologischen Gestern festzustecken und sich der Tragweite der Veränderungen und der daraus folgenden Implikationen nicht voll bewusst zu sein scheint, was ausgesprochen bedauerlich für die öffentliche Meinungsfindung hierzulande ist. (Zumindest scheint das auf CCC-Sprecherin Constanze Kurz zuzutreffen, die ich mehrfach auf Panels zu diesen Themen hören konnte.)