13. März 2014 Lesezeit: 3 Min.

Facebook und der "Reverse-Lock-In Effect"

In der letzten neunetzcast-Ausgabe haben Johannes Kleske und ich anlässlich der Nutzerbewegungen hin zu Threema und Telegram nach der WhatsApp-Übernahme durch Facebook über die Beweggründe der wechselnden User gesprochen. Thema dabei war auch, wie der Wunsch, nicht alle Kommunikation über die Dienste eines Unternehmens laufen lassen zu wollen, diametral der selbstgestellten Mission von Mark Zuckerberg gegenübersteht.

Johannes hat seine Gedanken dazu noch einmal schriftlich festgehalten und dafür den handlichen Begriff “Reverse-Lock-In Effect” gefunden:

So here’s the theory: We’re ok with giving Facebook some of our data. But we’re becoming much more careful about giving them all our data. “Sure, Facebook, you can know which events I attend. You can also tell my relatives about my new relationship or my aced school test. But the more you want from me, the more suspicious I will become and draw back.”

You could call it the reverse-lock-in effect. Because we feel so locked in and dependent on one platform, we seek out alternatives to avoid more lock-in at all costs. I think this is the (unconscious) reasoning behind people switching mobile messenger apps now.

It’s not because they think that Facebook is less secure than Whatsapp or more evil. It’s because they don’t want to have their private and group conversation also belong to Facebook. That’s why they have been using Whatsapp instead of the Facebook Messenger. And that’s why they are switching to Threema or Telegram now. Which adds another interesting layer to the situation.

Die Frage hierbei für mich ist nicht, ob dieser Effekt existiert. Die rasant nach dem Deal angestiegenen Wanderungen sind Beweis dafür, dass er existiert. Die Frage ist allerdings, ob der Effekt signifikant ist beziehungsweise sein wird. Sprich also, werden die Konsequenzen für Facebook spürbar werden? Die Antwort darauf ist noch nicht absehbar.

In der Vergangenheit haben Datenschutzbedenken für die Mehrheit der Menschen etwa praktisch keine Rolle bei der Auswahl der Kommunikationsplattformen gespielt.1 Wir haben heute allerdings mit Facebook eine besondere Situation:

  • Hoher Verbreitungsgrad: Kein Netzwerk-Angebot eines privaten Unternehmens war je so groß wie das von Facebook. Facebook geht etwa in Deutschland rasant auf 30 Millionen aktive Nutzer zu.
  • Überwachungsskandal: Facebook wird (zu recht) als US-Unternehmen mit der NSA in ein Boot gesteckt. Das ist die Folge der US-Politik und der Versäumnisse der amerikanischen Technologie-Unternehmen, die erst nach Snowden angefangen haben, sich zu wehren.
  • Facebooks Geschäftsmodell ist werbebasiert.

Punkt 3 führt unweigerlich dazu, dass Facebook keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für seine Dienste anbieten kann, weil es die Auswertung für das Targeting benötigt. Das führt wiederum dazu, dass sie aus Punkt 2 nicht so einfach herauskommen. Das Vertrauen ist weg.

Es gibt Spekulationen, dass Zuckerberg mit dem Kauf von WhatsApp nicht nur den Fuß in die Messaging-Tür bekommen wollte sondern auch mit den Erfahrungen der Macher, von denen einer jetzt im Board von Facebook sitzt, an der Diversifizierung des Geschäftsmodells von Facebook arbeiten will.2 Facebook will nicht nur mit Werbung Geld verdienen und vielleicht will man auch Dienste anbieten, die komplett ohne Werbung refinanziert werden, so die Vermutungen.

Das ergibt nicht nur Sinn, um den oben angesprochenen Problemen etwas entgegenzusetzen. Es ergibt auch Sinn wenn man sich die langfristigen Ambitionen anschaut: Der internationale Werbekuchen ist zu klein, um das Wachstum von Giganten wie Facebook und Google noch lang zu befeuern.

Selbst Google hat das bereits erkannt. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass Google auch mit seinen Aufkäufen von Robotik bis Nest künftig einzig und allein auf Werbung setzen wird.

Die spannende Frage bleibt, wie sehr ein “Reverse-Lock-In Effect” diesen Unternehmen künftig zu schaffen machen wird. Aktuell sieht es nur nach einem ersten Aufflackern des Aufbegehrens aus. Das muss aber nicht so bleiben. Facebook wächst weiter und gerade dieses Wachstum, dieser Erfolg, ist, was vielen nicht schmeckt.

Auf der anderen Seite sieht man allerdings auch, das selbst nicht gut schmeckende Netzwerkeffekte immer noch Netzwerkeffekte sind. Von all denen, die sich jetzt bei Threema und co. angemeldet haben, dürften nicht sehr viele auch tatsächlich diese Apps bereits zur täglichen Kommunikation nutzen - denn 90 Prozent ihrer Bekannten sind weiterhin bei den “verhassten” Marktführern.


Eine Folge davon: Weltfremdheit hat bei Datenschützern zu Verbitterung geführt.

WhatsApp ist bekanntlich nicht werbefinanziert sondern verfolgt verschiedene, plattformabhängige Modelle, bei denen die Nutzer direkt bezahlen.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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