30. Juli 2018 Lesezeit: 4 Min.

"Projekt Zukunft": Ergibt die Reorganisation von Daimler Sinn?

"Projekt Zukunft": Ergibt die Reorganisation von Daimler Sinn?
Daimler

Daimler teilt sich künftig in drei juristisch unabhängige Einheiten unter dem Dach der Daimler AG: Mercedes-Benz AG (Autos), Trucks AG und Mobility AG.

Daimler über ihr "Projekt Zukunft":

Nach vollständiger Umsetzung der neuen Struktur wird der Bereich Mercedes-Benz Cars & Vans unter der Leitung der Mercedes-Benz AG künftig rund 175.000 Mitarbeiter (Stand: Ende März 2018) haben, während der Bereich Daimler Trucks & Buses unter der Leitung der Daimler Truck AG über eine Belegschaft von rund 100.000 Mitarbeitern verfügen wird. Die bereits rechtlich selbstständige Daimler Financial Services AG wird künftig Daimler Mobility AG heißen. Das Geschäftsfeld mit rund 13.000 Mitarbeitern steht schon heute für die Mobilitätsangebote innerhalb des Konzerns. Mit drei schlagkräftigen Einheiten stellt sich der Daimler Konzern flexibler und fokussierter auf. Das operative Geschäft von Mercedes-Benz Cars & Vans und Daimler Trucks & Buses wird in die neuen Einheiten übertragen, die damit als starke Divisionen mit klarer Ausrichtung, eigener unternehmerischer Verantwortung und hohem Wertschöpfungspotential agieren. Kooperationen und Partnerschaften können noch zielgerichteter eingegangen werden. Alle drei Gesellschaften werden mitbestimmte deutsche Aktiengesellschaften mit Sitz in Stuttgart sein.

Autoblog:

As part of the reorganization, Daimler has struck an agreement with labor representatives that includes a pledge to secure jobs and invest in German sites, it said.

Siehe auch Manager Magazin / Reuters für die nackte Nachricht.

Um die Frage aus der Überschrift zu beantworten: Auf der einen Seite ergibt es Sinn, weil es Entscheidungsprozesse beschleunigen und interne Interessenskonflikte minimieren sollte. (Ohne sie aber vollständig zu eliminieren, was eh unmöglich ist.) Auf der anderen Seite besteht die reelle Gefahr, dass Daimler einen wesentlichen Vorteil weggibt, den sie künftig brauchen werden: Als künftiger Mobility-Dienstleister und Hersteller von Automobilen mit sehr hochwertiger Marke haben sie (oder hatten sie) einen wesentlichen vertikalen Vorteil gegenüber reinen Serviceplattform/-netzwerkanbietern von Waymo bis Uber.

Dieser Vorteil kann aber auch ein Nachteil sein. Siehe die oben angedeuteten internen Interessenskonflikte.

Zusätzlich bleibt die Frage, was Daimler mit diesem Vorteil überhaupt anfangen kann. Unabhängig von der Reorganisierung: Nicht nur für Apple, auch für Daimler stellt sich die Frage, wie man die starke Konsumentenmarke im Auto-/Transportmarkt künftig als Hebel ausspielen kann. Die Markenmacht dürfte nämlich gar nicht so viel Spielraum schaffen wie es bei besitzorientierten Ansätzen der Fall war. Die Markenmacht liegt künftig beim Zugang und den Netzwerkeffekten, also eben Didi, Waymo und Uber.

(Tatsächlich stellt sich die Frage, ob eine "High-End-Allianz" zwischen Apple und Daimler für eine Transportplattform nicht Sinn ergeben würde. Man könnte mit dem kommenden Massenansatz von Waymo, Uber und Didi nicht mithalten. Aber das wäre auch nicht das Ziel. Gemeinsam könnte man eine ausreichende Größe erreichen, um ein separates High-End-Netzwerk zumindest in Metropolen betreiben zu können. Eine solche Kooperation ist aus vielen Gründen leider sehr unwahrscheinlich.)

Das Wort Disruption wird heutzutage oft in die Runde geworfen und dabei, leider, synonym für Wettbewerb verwendet, was ziemlich blödsinnig ist. Hier trifft der Begriff Disruption ausnahmsweise zu: Der kommende Wandel im individuellen Transportwesen, der das dominierende Geschäftsmodell und dessen Ökosystem mit einem neuen Ökosystem ersetzen wird, macht es für etablierte Unternehmen schwer, angemessen darauf zu reagieren.

Disruption ist, wenn etablierte Strukturen nicht helfen sondern bremsen.

Deshalb ist nach wie vor gar nicht klar, wie die Hersteller erfolgreich auf die bereits beginnenden Verschiebungen in der Branche reagieren sollten.

Ja, sie müssen neue Kompetenzen aufbauen. Das macht man aber nicht mal eben so, siehe Touchscreens in Autos. Ja, sie müssen Mobility-Services aufbauen. Aber die kannibalisieren eben auch ihre Verkäufe.

Und was hätte ein Daimler zum Beispiel davon, ein Bikesharing-Netzwerk für Städte mit viel Kapital hochzuziehen? Es geht zwar darum, Personen die Mittel an die Hand zu geben von A nach B zu kommen, also, im Grunde, wie ihnen Autos zu verkaufen. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon wieder auf. Außer natürlich, dass all die Sharing/On-Demand-Dienste die Notwendigkeit, Autos zu besitzen, minimiert. Was wiederum lange Zeit kein Problem für eine High-End-Marke wie Mercedes-Benz darstellt bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihr gesamter gesellschaftlicher Kontext kippt...

So sehen strategische Herausforderungen aus.

Man darf nur hoffen, dass Daimler hier den richtigen Schritt macht. Denn Reorganisationen haben eben oft auch den Nebeneffekt, dass die Unternehmen dann lang mit sich selbst beschäftigen während alle anderen weiter unbeirrt nach vorn preschen.

Fortune über mögliche weitere Pläne:

Thursday’s supervisory board approval takes forward a plan, in the works since last year, to establish three largely independent units to allow cars, trucks and mobility services to react faster to changing customer demands and fend off new rivals like Uber Technologies Inc. The move needs approval from shareholders, set for May. It could pave the way for spinoffs or other deals, such as a separate partial listing of its trucks unit.

Wollen wir hoffen, dass das öffentlich verkündete Ziel der schnelleren Reaktionsfähigkeit tatsächlich erreicht wird.

Hier das Unternehmen selbst zur Umstellung:

Nach den positiven Beschlüssen von Vorstand und Aufsichtsrat kann das Unternehmen das „PROJEKT ZUKUNFT“ genannte Vorhaben nun umsetzen. Die Umsetzungsschritte sollen in den Jahren 2018 und 2019 auf Basis klarer wirtschaftlicher und technischer Kriterien erfolgen. Die heute beschlossenen Maßnahmen bedürfen im nächsten Schritt der finalen Zustimmung der Aktionäre. Eine Vorlage zur Zustimmung soll auf der ordentlichen Hauptversammlung der Daimler AG im Jahr 2019 erfolgen. [...]

Die Daimler AG als Dachgesellschaft wird Corporate Governance-, Strategie- und Steuerungs-Funktionen sowie konzernübergreifende Dienstleistungen wahrnehmen. Damit wird auch sichergestellt, dass Synergien unverändert bestehen bleiben. Die Verantwortung für die konzernweite Finanzierung wird weiterhin bei der allein börsennotierten Daimler AG als operativer Management-Holding liegen.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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