19. Jan. 2012 Lesezeit: 3 Min.

Twitters Shit-Sandwich

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Warum war Twitter das erste Unternehmen, das besonders laut aufgeschrieen hat, als Google Google+ in die Suche integriert hat?

Weil man bei Twitter weiß, dass man am meisten zu verlieren hat. Twitter steckt in einer ausgesprochen schlechten Ausgangslage ist:

Google stärkt die Integration von Google+ in die eigene Suche. Damit wird Google+, das mit seiner Asymmetrie der Beziehungen von Anfang an direkter Konkurrent zu Twitter war, dem Newsliebling Twitter sehr gefährlich.

Das ungefähr achtmal so große Facebook ist mit dem Abonnieren-Button direkt in das Followeprinzipland von Twitter eingedrungen.

Twitters Position zwischen Facebook und Google+ ist denkbar schlecht.

Hier liegt das Dilemma:

Was passiert, wenn Google+ eine Read/Write-API bekommt?

Wird Twitters Poweruser-Client Tweetdeck den direkten Twitter-Konkurrenten Google+ unterstützen?

Nein? Wird Tweetdeck dann der bevorzugte Poweruser-Client bleiben oder entsteht eine Marktlücke?

Was passiert, wenn Facebook seine APIs aufbessert und bessere Unterstützung für Pages, Gruppen und Abonnements anbietet?

Wird Tweetdeck den direkten Twitter-Konkurrenten Facebook besser integrieren?

Wie lang noch, bis Clients von Drittanbietern "promoted Tweets" anzeigen müssen als Gegenleistung für den Zugang zur API?

Diese Problematiken meinte ich, als ich letztes Jahr vermehrt darüber geschrieben, dass der Weg von Twitter Geld allein über Werbung verdienen zu wollen und dafür unter anderem auf die Kontrolle der Clients zu setzen, ein Irrweg ist. Die Ausgangslage von Twitter war dafür nie prädestiniert:

Als Twitter nach Tweetie Tweetdeck übernahm, fragte mich die taz für einen Artikel, was Twitter mit Tweetdeck machen will. In der Tat. Gute Frage.

Um auf diesem Pfad nun zu bleiben, muss Twitter notgedrungen die direkten Konkurrenten in seinem Poweruserclient unterstützen, oder dort die Poweruser verlieren. Gleichzeitig müssen sie einen Deal mit Google machen. Weil spätestens mit der Read/Write-API von Google+ auch Tweets ihren Weg zu Google+ finden. Und dann als Google+-Updates hervorgehoben in der Google-Suche angezeigt werden. Nicht als Tweets, als Google+-Updates.

Wenn das kein Shit-Sandwich ist, dann weiß ich nicht was sich als solches klassifiziert.

Vertikale Integration ist in der vernetzten Welt der Internetwirtschaft  sehr viel schwieriger als in der Softwarewelt der Neunziger, als Microsoft mit Windows und Office das gesamte Universum geknechtet hat.

Britney Spears hat auf Facebook 1.025.322 Abonnenten. Auf Google+ wurde sie von 1,4 Millionen Personen eingekreist. Auf Twitter hat sie 12,5 Millionen Follower.

Noch hat sie mehr Follower auf Twitter als auf Facebook oder Google+. Die Frage ist, wie lange noch? Während Twitter Jahre Zeit hatte für das Aufbauen des Publikums von Prominenten und anderen Nutzern, existiert Google+ erst seit einem Dreiviertel Jahr und Facebooks- Abonnieren-Button gibt es auch erst seit September 2011.

Wie sieht es wohl in zwei oder drei Jahren aus? Vor allem: Wenn ein an Prominenten interessierter diesen auch auf Facebook folgen kann, wo man bereits angemeldet ist, wo liegt der Nutzen für den Mainstream noch bei Twitter? (Ja, den gibt es trotzdem noch. Aber er sinkt, weil sich alles asymmetrische auch auf Facebook, Tumblr und Google+ abbilden lässt, und überall ohne 140-Zeichen-Beschränkung.)

Um die Antwort auf diese Fragen vorweg zu nehmen: Die Facebook-Fanpage von Spears wiederum hat bereits über 16 Millionen Fans.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Facebook auf der nächsten f8-Konferenz verkünden, wie erfolgreich der Abonnieren-Button ist und wie viele Abonnenten die Prominente XY und der bekannte Experte 08/15 mittlerweile über Facebook erreichen können. Und das alles neben dem Erfolg der Fanpages.

Das Wort Twitter wird nicht fallen, aber die Übung wird trotzdem genau das vermitteln: "Schaut her, Ihr könnt über Facebook viel besser machen, was Ihr auf Twitter macht. Und wir haben keine albernen Beschränkungen. Und wir sind viel größer!"

Vor einiger Zeit schrieb John Gruber über das Shit-Sandwich, das Twitter den eigenen App-Entwicklern präsentierte. Jetzt steckt Twitter selbst in einem. Ihr problematisches Verhältnis zu ihrem eigenen Ökosystem wird dabei nicht helfen.

Das heißt alles nicht, dass Twitter dem Untergang geweiht ist. Aber es deutet darauf hin, dass Twitter nicht das große, wichtige Webangebot werden wird, das man sich dort zum eigenen Ziel gesetzt hatte. Unter anderem hält die Finanzierungsform über Werbung Twitter davon ab. Damit lässt sich (zumindest kurz- und mittelfristig) viel Geld verdienen. Aber es bedeutet eben auch, dass Twitter damit die Kontrolle über Bereiche seines Ökosystems nehmen muss, die nicht ohne Kollateralschäden übernehmbar sind.

Jede geöffnete Einkommenstür schliesst andere Türen.

Twitter hätte das große, webumfassende Angebot werden können, das "plumbing for the web", wie es sich die Gründer vorgestellt hatten und immer noch vorstellen. Mit ihrem Schritt Richtung Werbung und Kontrolle der Oberfläche haben sie eine Richtung eingeschlagen, die sie vor der Erfüllung ihrer Vision bewahren wird, denn mit dieser großen Vision lässt sich nicht so viel Geld verdienen. Ein Twitter nach diesen Vorstellungen? Think Craigslist.

Aber wenn die heutigen Probleme und eingeschlagenen Pfade von Twitter darauf hindeuten, dass die Zukunft nicht die Weltherrschaft bringen wird, was dann?

Das alles deutet darauf hin, dass die hohen Bewertungen von Twitter vielleicht doch nicht gerechtfertigt waren.

Wenn Management und Investoren irgendwann zum gleichen Schluss kommen, könnte Twitter kaufbar und bezahlbar werden. Man benötigt nicht viel Vorstellungskraft um sich vorzustellen, wer auf diesen Moment wartet: Apple.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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