Felix Neumann trifft den Nagel auf den Kopf:
Verschlüsselung ist eine technische Lösung für ein rechtliches und soziales Problem; damit ihr Ziel in bezug auf Alltägliches wie Gespräche und Kontakte erreicht wird, braucht es aber weniger technische als rechtliche und soziale Lösungen. Wäre es anders, käme es zu einer Spirale der rechtlosen Eskalation, die die Leute abhängt, denen die Fähigkeiten oder Ressourcen fehlen, mit aufzurüsten. Macht statt Politik. (Bei Neunetz wird diese Argumentation auch in Bezug auf Selbsthosten als unpolitisch verworfen.) Briefumschläge sind weniger technisch wirksamer Öffnungsschutz (Wasserdampf oder einfach ein neuer Fensterbriefumschlag sind keine Requisiten eines Agent_innenfilms, der etwas auf sich hält), sondern eine rechtliche und soziale Konvention, die rechtlich funktioniert, wenn der Rechtsstaat funktioniert, und sozial funktioniert, wenn die gesellschaftlichen Normen akzeptiert und umgesetzt werden.
Es ist eine Sache, von Unternehmen im B2B-Bereich, von Anwälten, Ärzten und Journalisten in der professionellen Kommunikation Schutzmassnahmen wie (effektive) Verschlüsselung zu erwarten, aber es ist eine andere, das von der gesamten Bevölkerung zu erwarten und das auch als Lösung für den Überwachungsskandal zu sehen.
Niemand geht davon aus, dass das Postgeheimnis nur für mit der Post verschickte Inhalte gilt, die in Geldkassetten verschickt werden, weil alle anderen Inhalte mit technisch vertretbarem Aufwand erfasst werden könnten. Warum sollte das im digitalen Kontext anders sein?
Das ist kein Argument gegen Verschlüsselung, eher eins dafür, den gesellschaftlichen Kontext nicht aus dem Auge zu verlieren.