11. Aug. 2010 Lesezeit: 3 Min.

Warum Google bei mobiler Netzneutralität klein beigegeben hat

Nach den gestrigen Hinweisen zu Texten über die Google-Verizon-Bekanntgabe muss ich heute noch auf die mit Abstand beste Analyse zum Thema hinweisen:

Why Google Became A Carrier-Humping, Net Neutrality Surrender Monkey

Ryan Singel hat für das Wired-Blog Epicenter die strategischen Zusammenhänge und damit die Motive von Google sehr gut analysiert. Eine Zusammenfassung:

Mobilfunk in den USA: In den USA sieht die Situation im Mobilfunk so aus, wie man sie hierzulande nur von einzelnen Mobiltelefonen wie dem iPhone kennt. Wer Mobiltelefon XY will, muss zum Netzanbieter gehen, der dieses Gerät exklusiv anbietet. Die Mobilfunkanbieter in den USA haben erheblichen Einfluss auf die Geräte und ihre Ausgestaltung. Wer in den mobilen Markt will, ist also stark an die Anbieter gebunden und kann nur in Ausnahmefällen (iPhone) gesonderte Bedingungen aushandeln.

Googles Geschäftssituation: Google ist nachwievor ein Werbeunternehmen. Googles Haupteinnahmequelle sind AdSense/AdWords, vor allem bei der eigenen Suche. Sowohl die Werbeeinnahmen als auch der Suchmarktanteil wachsen im im Desktopbereich kaum noch. Kein Wunder, wenn Googles Marktanteil in Ländern wie Deutschland bei der Desktopsuche bei weit über 90% liegt.

Mobiles Internet ist dagegen ein riesiger Wachstumsmarkt.

Android: Der Beweggrund von Google, Android zu erschaffen, war immer einen (Werbe-)Fuss in die mobile Welt zu bekommen. Mittlerweile werden über 200.000 Android-Geräte jeden Tag registriert. Das heißt also, Android ist erfolgreich und wächst massiv.

Obwohl Android im Grunde Open Source und damit "offen" ist, hält Google die Kontrolle über das System mit seinen proprietären, integrierten Diensten, die nur mit Google-Erlaubnis eng mit Android verzahnt werden dürfen:

This was made quite clear last year, when Google slapped the leading Android phone modder, Cyanogen, with a cease-and-desist notice for including Google’s proprietary software in his custom builds, which savvy Android users use to circumvent carriers’ crippling of their phones.

In short, a generic Android phone that isn’t also a “Google-enhanced” Android phone isn’t worth selling. And you can’t make a Google-enhanced Android phone without Google’s permission.

Google hat Kontrolle über ein mobiles Betriebssystem, das rasant wächst. Google hat damit erreicht, was es wollte. Und um weiter zu wachsen, benötigt Google in den USA die mächtigen Mobilfunk-Anbieter.

Deshalb wurde das Nexus One aufgegeben. Google benötigte es nicht mehr für den Erfolg von Android, weil Android auch ohne wächst.

Its capitulation allows the carriers it works with to do the same thing AT&T and Apple have done to protect their businesses: ban cool apps for no real reason (Google Voice on the iPhone for one), cripple apps to protect business models (Skype on the iPhone) and outright ban data-heavy apps from third parties (Slingbox for the iPhone), all the while promoting their own app (MLB’s iPhone app).

As for unlocked phones, the Nexus One was it. There will never be a Nexus Two. If you want the Nexus One — which gets updates as soon as they are released, as opposed to whenever your carrier decides its phone is ready — pretend to be a developer, in which case Google will sell you one for $529.

[..]

By surrendering — and by surrendering, I mean, giving up the fight it claimed to be waging on your behalf for open wireless networks — it wins billions of dollars in online, mobile ad revenues.

As a result, openness in the mobile market is no longer in Google’s best interest.

Fazit: Der Einsatz von offenen Standards, wie beispielsweise die Lobpreisung von HTML5, und die Wahrung von Prinzipien wie Netzneutralität war und ist schon immer strategisch bedingt gewesen. Bei Google Buzz zum Beispiel hält Google aus diesen strategischen Gründen weiterhin an ersterem fest (tut aber gleichzeitig so, als würde man es für das Wohl der Allgemeinheit machen). Für den mobilen Sektor benötigt Google nach eigener Meinung keine dieser Prinzipien mehr, weil es für Wachstum auf die mächtigen Geschäftspartner angewiesen ist.

Unternehmen sind immer profitorientiert. Auch Web-Unternehmen. Googles Strategieschwenk wäre also nicht so problematisch, wenn die PR-Abteilung von Google nicht bei jeder Gelegenheit auf die eigenen vermeintlichen Prinzipien hinweisen würde und Wörter wie "open" benutzt, um dem eigenen Unternehmen eine weiße Weste zu geben und Absichten zu suggerieren, die gar nicht vorhanden sind.

Man konnte es seinerzeit bereits am irreführend benannten OpenSocial sehen, aber spätestens jetzt dürfte es jedem Beobachter klar geworden sein: Auch Google ist ein Meister in PR-Bullshit.

google-open
Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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