24. Feb. 2022 Lesezeit: 4 Min.

Was Frankreich im regulatorischen Umgang mit Netflix und co. richtig macht

Der Marktkontext

Meine Arbeitsthese über die Zukunft des privaten nationalen TVs, linear wie On-Demand, im Wettbewerb mit den Streaming-Riesen habe ich hier öfter dargelegt:

Es gibt langfristig keine Überlebenschance für RTL und co. -abseits kleinster Nischen- gegen die strukturellen Vorteile global agierender Streaming-Anbieter. Meine These ist deshalb seit langem, dass das private Fernsehen mit seinen Zuschauern aussterben wird. Neben dem ÖRR -und neuen Medienformen wie TikTok, YouTube, Twitch und Fortnite!- bleiben dann eine kleine Zahl von Abo-Diensten. Aktuell sind das Prime Video, Netflix, Disney+ und danach Apple TV+, HBO Max.

Diese Riesen investieren nicht nur in eigene Inhalte in Hollywood/USA sondern auch international. Der Grund dafür sind die irrsinnig in die Höhe geschossenen Budgets, mit denen Inhalte gekauft und finanziert werden. Die Streaming-Budgets sind so groß, dass sie längst die Kapazitäten von Hollywood gesprengt haben (Der alte Witz aus einer Cartoonserie, vergessen welcher: Bei Netflix geht man ans Telefon mit „Hi, this is Netflix. You’re greenlit.“) Auch deshalb lassen Netflix und co. international produzieren. Hinzu kommt das Potenzial neben lokalen Hits für vergleichsweise wenig Geld einen internationalen Überraschungshit zu landen. (siehe Squid Game)

Das heißt, aufgrund der kulturellen Bedeutung zumindest in westlichen Märkten bleibt der Hollywood/USA-Anteil extrem wichtig, aber er ist eben nur ein Teil des Ganzen.

So weit, so bekannt.

Daraus folgt nun, dass die Kreativschaffenden und ihre Firmen hinter den Inhalten sich einer Handvoll ungleich größerer Verhandlungspartner gegenüber sehen. Also deutsche Film- und Serienmacher:innen haben Amazon, Netflix und vielleicht irgendwann Apple und Disney, an die sie pitchen können.

Das ist erst einmal, auch das ist wichtig festzuhalten, eine Verbesserung gegenüber vorher. Es gibt mehr Abnehmer, nicht weniger. Und vor allem: die neuen Abnehmer sind an diverseren Inhalten interessiert als die Autobahnpolizei und den Alpendoktor.

Vorbild Frankreich

Das heißt aber nicht, dass man nicht regulatorisch die hiesige Kreativseite stärken kann. Frankreich ist hier historisch schon immer stark vertreten gewesen.

Was Frankreich macht, ist zweiteilig:

  1. Eine EU-Direktive von 2018 einsetzend hat Frankreich gesetzlich festgeschrieben, dass Streamer in Frankreich 20 Prozent ihres Umsatzes im französischen Markt in französische Produktionen investieren müssen.
  2. Bei 85 Prozent dieser Produktionen wiederum müssen die Rechte bei den Produzenten liegen bleiben. (Weniger wichtig, aber sehr Frankreich: Diese 85 Prozent müssen auch auf französisch sein.)

Ein Ergebnis davon: Laut Financial Times haben Netflix, Amazon und Disney zusammen sich verpflichtet, ab 2022 mindestens 250 Millionen Euro jedes Jahr in französische Projekte zu investieren.

Wie ich oben bereits schrieb, würden Streamer wie Netflix sowieso auch lokal produzieren lassen. Eine Verbindung aus Mindestquote und Regulierung der Rechtesituation ist allerdings sehr mächtig. Man muss wissen, dass die eigenen Inhalte, „Netflix Originals“ etwa, sehr unterschiedlich rechtlich gestaltet sein können. (Oder anders gesagt, etwas Branding-Overreach stattfinden kann.) Im Falle von Netflix etwa fallen unter die Originals auch gern mal von UK- oder US-Sendern produzierte Inhalte, die über die gleichzeitige internationale Distribution auf Netflix co-finanziert werden. Netflix ist nur Distributor, Einkäufer, der aufgrund seines Budgets den Zuschlag bekam. Dann gibt es exklusive Inhalte, die externe Studios für Netflix produzieren. Die Rechte können hier je nach Projekt unterschiedlich ausfallen. Im schlimmsten Fall entwickeln sich Studio und Streamer in eine Konkurrenzsituation oder eine, wo die Inhalte kollidieren. Extremes Beispiel sind die Marvel-Serien auf Netflix, die in naher Zukunft zu Disney+ wandern werden und deren abrupte Absetzungen seitens Netflix zumindest zum Teil Strategiesteuern gewesen sein dürften.

Am anderen Ende der Vertikalisierungsskala steht Stranger Things. Die Hit-Serie Stranger Things wird von einem Studio produziert, das selbst zu Netflix gehört. Die Rechte an der Serie werden also Netflix auf alle Zeiten gehören.

Das ist wichtig wegen der speziellen Kostenstruktur in diesem Geschäft: Sehr hohe Investitionskosten (den Film, die Serie drehen), vergleichsweise vernachlässigbare Kosten der „Ausstrahlung“ (Kosten pro Stream sind egal, nicht im Aggregat aber pro Stream!).

Je länger ein Streamer also die exklusiven Rechte hält und auf je mehr Abonnent:innen der Dienst sie verteilen kann, umso besser. Mehr als an anderen Stellen gibt es hier also einen Sog auf maximale Rechteübernahme.

Dem kann man aufgrund der Machtverteilung in den Verhandlungen nur regulatorisch begegnen.

Frankreich kann da durchaus als Europäisches Vorbild dienen.

Financial Times in ihrem Bericht:

While Spain has been more cautious, Italy has followed France with a more proscriptive approach; it is looking to apply an “investment obligation” of up to 20 per cent of turnover with independent projects. In Germany, a vital market for streamers, producers are pressing the coalition government to take similar action.

Netflix spent €4bn on European films and shows between 2018-2021, and it still licenses much of the content: three-quarters of the European titles added to its catalogue during this period were not Netflix-owned originals.

​Laut den Analysten von Ampere Analysis sind die beauftragen Serien und Filme von Streamerin in Europa um 57 Prozent letztes Jahr gestiegen. (via FT)

​EU-Recht sieht mindestens 30 Prozent lokale Inhalte vor. (Was u.a. noch UK, Türkei und Schweiz einschließt.)

Tech-Regulierung der EU, Nachfrage und die nächsten Jahrzehnte

Die Europäischen Länder sind wichtige Märkte für die Streamer, die nur weltweit verfügbar erfolgreich sein können und hier auf dem Kontinent zahlungskräftige Kund:innen vorfinden. (Disney+ etwa ist sehr groß in Indien, was die globale Abonnent:innenzahl hochtreibt, aber für einen fast für den Konzern irrelevanten Monatspreis..) Diese international gesehen attraktive Abnehmermärkte sind der einzige Grund, warum EU-Regulierung, die sich in diesem Feld nur an Nicht-EU-Unternehmen richtet, überhaupt funktioniert.

Das ist durchaus ein Theme bei Online-/Tech-Regulierung der EU allgemein.

Sie lebt vom Hebel der attraktiven europäischen Nachfragemärkte. Wer hier Geld verdienen möchte, muss sich den manchmal etwas willkürlichen und regelmäßig geradezu blödsinnigen (hallo, DSGVO) Regeln unterwerfen.

Die Frage ist, wie lang das im internationalen Vergleich so bleiben wird. Indien wird der in wenigen Jahren größte Online-Markt sein, Südostasien wächst ebenfalls rasant. Nicht jeder Onlinedienst lebt von Strukturen, die am besten global skalieren.

Die nächsten 15, 20 Jahre wird das wohl noch gutgehen. Aber diese Situation wird nicht anhalten.

Kein Grund allerdings an der Regulierung von Big Tech oder auch Stream-Giganten etwas grundsätzlich zu ändern.

Europäische Innovationsförderung und Rahmensetzung auf der anderen Hand…

Dieser Text ist zuerst in Nexus 98: Vorbild Frankreich bei Regulierung von Streaming, Wenn Amazon Prime teurer wird, Internet of Beefs, Musik + Web3 am 11.02.2022 erschienen. Nexus ist das Mitgliederangebot von neunetz.com mit zusätzlichem Newsletter, exklusiven Podcasts und einem Discord-Forum. Mehr Informationen zum Mitglieder-Angebot hier.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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