Es ist alles mit allem zunehmend verbunden. Das gilt umso mehr, je stärker das Internet in den Kern der gesamten Wirtschaft rückt. Denn Internet bedeutet immer auch, dass mehr Dinge Umwelt für andere Dinge sein können und werden.

Weil in diesen neuen Umgebungen sich zum Status Quo asymmetrisch verhaltende Geschäftsmodelle möglich werden.

Amazon & MGM & Entertainment & Prime

Dass Amazon oder Netflix beginnen, eigene Bibliotheken (und Produktionskapazitäten) aufzubauen, in dem sie Filmstudio(s?) kaufen, war wie gesagt absehbar. MGM war wohl schon länger auf der Suche nach einem Käufer.

Die großen Tech-Konzerne haben das Geld für solche Käufe; für Netflix hätte es ungefähr dem jährlichen Content-Budget entsprochen, die Ausgaben dafür also verdoppelt.

Ein Filmstudio wie MGM löst für Amazon mehrere Aufgaben:

  • Exklusiver, weil eigener Backkatalog
  • Mindestens ein aktives Hit-Franchise (James Bond)
  • Potenzielle weitere Franchises (man stelle sich auf eine Robocop-Serie und mindestens ein Rocky-Reboot und ähnliches ein)

Alle drei Eckpunkte sind wichtige Dinge für Streaming-Dienste.

Ich hatte es in meinem Artikel zur Übernahme schon angedeutet: Disneys franchise-getriebene Übermacht macht das Kinogeschäft schwer für die Studios. Ähnliches gilt aber auch für die Streaminganbieter. Disney+ ist für ein so jungen Dienst sehr erfolgreich und greift mit der ganzen Franchise-Macht des Konzerns den Markt an.

Disney+ ist innerhalb kürzester Zeit ein Konkurrent geworden.

Es ist absehbar, dass sich ungefähr 4 Streamingdienste weltweit durchsetzen werden. Zu den heißesten Kandidaten zählen Netflix, Disney+ und Amazon Prime Video. Nicht zuletzt weil alle drei bereits heute groß sind, also Kostenvorteile haben (Millionen zahlende Abonnenten, deren Nutzung keine signifikanten Kosten verursacht), und alle drei unterschiedliche Strategien verfolgen.

Aber die Konkurrenz ist groß. Neben den etablierten TV-Konzernen -die deutschen Versuche, in den USA HBO Max und co.- gibt es etwa auch noch den Roku Channel oder auch noch Apple TV+. Apple hat gar keinen Backkatalog.

Erstaunlich also vor allem, dass erst jetzt ein Tech-Konzern ein Studio kauft. Zwischenzeitlich dachte man bei Apple 2015 darüber nach, Time Warner zu kaufen. Mit 100 Milliarden wäre das ein etwas größerer Deal geworden. (CNBC)

Was uns zu dieser Frage bringt: „Why Is Amazon in Entertainment?„, fragt die New York Times.

Eine offensichtliche Antwort lautet natürlich Amazon Prime, der Superkleber, der alles bei Amazon zusammenhält.

Prime Video lockt gemeinsam mit den anderen Prime-Vorzügen neue Abonnent/innen und hält bestehende Abonnent/innen davon ab, Prime wieder zu kündigen. (Die Masse an Prime-Vorteilen, von denen Prime Video nur eins von vielen ist, lässt sich in Summe kaum kommunizieren. Die Fülle der Perks dürfte aber besonders effektiv darin sein, Kündigungen zu minimieren.)

Prime-Haushalte geben sehr viel mehr auf Amazon aus als Nicht-Prime-Haushalte. Vor einigen Jahren lag der Wert in den USA dafür bei ca. 2.300$ pro Jahr. Heute liegt er laut einem Report von Morgan Stanley bei 3.000$. (NYT) Mehr als doppelt so viel wie Nicht-Prime-Haushalte. Amazon hat 147 Millionen Prime-Abonnenten in den USA und 200 Millionen weltweit.

Laut NYT lies sich der Nutzen des Streamings für Prime-Abos nicht quantifizieren. Das liegt aber auch daran, dass es gar nicht so leicht ist.

Ein Geflecht aus Amazon-Plattformen & Optionen

Aber selbst wenn Video -> Prime kein breitgetretener Pfad bei Amazon ist, so muss man Prime Video bei Amazon als ein Puzzlestück unter vielen sehen ebenso wie TV+ bei Apple.

Für Amazon stärkt ein starker Prime-Video-Streamingdienst nicht nur Prime sondern auch Fire TV. Fire TV ist neben Alexa die große Home-Plattform von Amazon, die natürlich mit First-Party-Angeboten gestärkt wird. Und die natürlich auch die Verfügbarkeit der Inhalte aus gleichem Haus besser integrieren kann.

Fire TV bringt ebenso wie Alexa mit den Echos eine Optionalität für Amazon. Siehe dazu auch Nexus 68 zum Sidewalk-Netzwerk von Amazon.

Ohne punktuelle vertikale Kontrolle vergibt sich Amazon hier Spielmöglichkeiten. Ebenso wie Apple mit Apple TV+ eine eigene (und damit exklusive) Bibliothek aufbauen muss.

Für Amazon bieten sich mit der neuen MGM-Bibliothek im Prime-Video auch Bündel-Optionen etwa für die Prime-Channels. („X Channels für Y Euro im Monat und Ihr bekommt Prime Video und/oder IMDb TV oben drauf“)

Prime ist das Schwungrad, das den Amazon-Marktplatz antreibt und alles miteinander verbindet, aber Video und die MGM-Übernahme fällt nicht allein ins Prime-Revier.

Amazon Ads & IMDb TV

Einem neuen Report von Loop Capital zufolge (ich hab’s nicht nachgezählt) ist Amazons Werbegeschäft 2,4 Mal so groß wie das Werbegeschäft von Snap, Twitter, Roku und Pinterest zusammen. Und wächst 1,7 Mal schneller. (CNBC)

Wie vorher bei Facebook und Google so gilt auch für Amazon: Viel hilft viel bei Werbung. Große Plattform bedeutet große Reichweite und das will man als Werbetreibender. (Nicht die Masse insgesamt sondern die präzise Ausspielung, die mit der Masse möglich wird.

„Other“, wo Amazons Werbung reinfällt, lag im ersten Quartal bei 6,9 Milliarden $. (Sprich, da ist noch viel Luft nach oben.)

Amazon baut ein massives Werbegeschäft auf, das auch von der Reibungsfreiheit profitiert, weil es von einem großen Marktplatzanbieter kommt. (Weniger Mittelsmänner auf der Angebotsseite, als auch weniger Medienbruch auf der Nutzerseite.)

Das gilt nicht nur für die Website und die App, sondern auch etwa für Fire TV, das nicht nur App-Plattform und Prime-Video-Abspielfläche ist, sondern eben auch dem One-Stop-Shop Amazon-Werbefläche zuspielen kann. Optionen, tolle Sache!

Janko Roettgers hat zusätzlich auf Protocol über IMDb TV geschrieben, das ein Streaming-Angebot von Amazons IMDb ist, das werbefinanziert ist und von den, sagen wir, weniger relevanten älteren Inhalten von MGM profitieren kann.

During Amazon’s first Newfronts presentation, the company also said that IMDb TV viewers spend an average of 5.5 hours with the service every week.

Amazon wants to keep growing that number by making IMDb TV more widely available. Earlier this year, the company launched an app on Google’s Chromecast with Google TV streaming device. In the coming months, it plans to unveil standalone apps for iOS and Android.

Amazon has started to invest some real money into IMDb TV content, including a spin-off of the Prime original „Bosch,“ a Judge Judy reality TV show, a revival of „Leverage“ and a bunch of other scripted and unscripted shows. IMDb TV’s catalog also includes audience hits like „Mad Men,“ „Lost“ and „Schitt’s Creek.“

​Das kann Amazons Werbegeschäft massiv helfen:

It’s part of a massive advertising business that Amazon has been building in plain sight:

Amazon reported around $21.5 billion in „other“ revenues, the majority of which comes from advertising, last year. Those ad dollars come from sponsored product listings on Amazon.com, audio ads playing on Echo speakers and video advertising, among other things.

During the Newfronts, Amazon revealed that its OTT video advertising business now reaches over 120 million monthly active viewers. This includes IMDb TV, ads that Amazon runs in third-party streaming apps on Fire TV, as well as on Twitch.

Loop Capital recently estimated that Amazon is making more than twice as much money with ads as Twitter, Snap, Roku and Pinterest combined.

In this context, MGM isn’t just about Amazon competing with Netflix and Disney+. We should expect a good chunk of its catalog of 4,000 movies and 17,000 TV show episodes to find their way to IMDb TV eventually, and the studio will also help Amazon create new originals for the ad-supported service.

​Es ist also ein wirklich großes Puzzle, in dessen Mittelpunkt Prime steht, aber eben nicht nur Prime.

Klar, Apple hat für Apps mit seiner Tracking-Abfrage im Grunde „nur“ die DSGVO im Namen der App-Anbieter iOS-weit umgesetzt. Aber die Auswirkungen dürften in Aktivistenkreisen kaum klar sein: Tausender-Kontakt-Preise fallen wohl bereits, weil Apple auch sichergestellt hat, dass der OS-Dialog sicherstellt, dass das Tracking abgelehnt wird.

Wohin das führen wird, wird sich noch zeigen. Aber eins ist klar: Wenn Third-Party-Tracking schwerer wird, dann wird Arbeitsteilung schwerer. Sprich Ad-Netzwerke und kleinere Anbieter, die nicht alles aus einer Hand bieten, verlieren.

Daraus folgt:

Es gewinnen, diejenigen, die alles aus einer Hand anbieten können.

Also:

Google, das bereits vornehmlich auf den eigenen Properties (Suche, YouTube, Maps etc.) wirbt, gewinnt. Facebook verliert zwar Ad-Install-Werbung, aber Instagram dürfte langfristig ein großer Gewinner sein.

Außerdem gewinnt, Überraschung!, Apple, die neben ihrem Services-Push auch gern mehr Werbeerlöse erzielen wollen, um die bestehende Nutzerbasis besser zu monetarisieren. Also: Ad-Install-Ads von Facebook zum Appstore. (Das erhoffen sie sich, aber niemand geht aus Langeweile in den Appstore wie man aus Langeweile Facebook und Instagram öffnet.) Und sicher auch im nächsten Schritt: Ein Apple-Werbenetzwerk für iOS-Apps.

Ebenfalls ein großer Gewinner natürlich Amazon, dessen Werbegeschäft bereits massiv an Fahrt aufgenommen hat (siehe oben) und so oder so weiter gewachsen wäre. Amazon war auch vorher der einzige Herausforderer des Werbe-Oligopols von Facebook und Google auf lange Sicht. Apples Schritt hat das zementiert und beschleunigt.

Denn Amazons Vorteil Marktplatz und Werbefläche zugleich zu sein, verstärkt sich hier natürlich nochmal massiv, wenn Werbenetzwerke und dezentrale Werbeansätze allgemein von OS-Anbietern wie Apple massiv beschnitten werden.

Ein paar Milliardchen für Filme und Serien zu bezahlen, die man werbefinanziert dann auch auf Fire TV im „IMDb TV“-Kanal zweit/resteverwerten kann? Für Amazon doch ein No-Brainer.

Siehe zu Apple und der Cookie-Apocalypse auch Benedict Evans.

Regulierung

Ich bezweifele, dass die Übernahme regulatorisch problematisch sein wird. Mehr noch: Amazon wird nicht der letzte Tech-Konzern gewesen sein, der ein Filmstudio übernimmt. Es gibt weitaus schwierigere Felder (siehe Instagram und Facebook).

Peter Kafka auf Vox:

Amazon’s argument to the Klobuchars of the world, by the way, will be straightforward: They’re a small player in entertainment, and the acquisition won’t reduce consumer choice.

On the other hand: If you didn’t like the fact that Amazon runs a store that sells batteries and sells its own batteries in that same store, you might see similar parallels to running a movie store and selling your own movies. Or, you might simply have a problem with one of the most powerful companies in the world using its billions to buy anything at all. We’ll find out.

Netflix + Games

Berichten zu folge stellt Netflix gerade Leute für ein geplantes Spielebündel ein, das von der Struktur ähnlich wie Apple Arcade sein könnte. (The Information) Das ergibt Sinn, weil Apple Arcade für Spiele so funktioniert, wie Netflix bei lizenzierten Inhalten.

Games?? Netflix???

Seit Jahren nennt Netflix als größten Konkurrenten in seinen Earnings Calls Fortnite, nicht Prime Video oder Disney+. Der Grund ist offensichtlich: Onlinegames wie Fortnite nehmen eine zentrale Rolle mit viel Zeit im Leben der Spieler/innen ein. Sie sind beliebt bei den wichtigen jüngeren Altersgruppen und sie sind ein sehr dynamisch wachsendes Segment.

Es ist nicht sinnvoll, in Produktkategorien zu denken (ich bin Video, also konkurrier ich nur mit Video!) sondern stattdessen zu schauen, was mit mir bei meinen Kunden um deren Aufmerksamkeit buhlt. Wenn eine Kundin jeden Abend Fortnite, Roblox oder Minecraft spielt und ab und an bei Netflix reinschaut, dann wird sie vielleicht irgendwann Netflix verlassen. Völlig egal für diese Kundin, was außerdem Disney+ und Amazon machen.

Vor allem: Im Gegensatz zu den Video-Konkurrenten entwickeln sich die Onlinegames als Kategorie rasant weiter. Stichwort: Metaverse.

Und: Apple Arcade kommt von Apple. Googles Stadia ist gefloppt. Aber Microsoft versucht’s (siehe meine Analyse zu Gamepass) und Amazon könnte es auch versuchen.

Und was macht Netflix, wenn irgendwann ein Big-Tech-Konzern erfolgreich ist, und ein Spiele-Bündel und ein Video-Bündel gemeinsam gebündelt erfolgreich etabliert?

Dann erst in Games einsteigen?

Alles ist mit allem verbunden.

Screens & Zeitbudgets

Wenn alles miteinander verbunden ist, also die Zahl der Reaktionen und Wechselwirkungen steigt, dann wird der Kontext immer wichtiger. Keine Handlung findet im Vakuum statt.

Wer Amazons Schritt(e) verstehen will, muss mehr als Onlinehandel betrachten und muss mehr als den Streaming-/Entertainment-Teil betrachten.

Einzelne Märkte sind fast nie Nullsummenspiele, unsere Tage dagegen immer.

Es mag metaphysisch abgehoben klingen, aber am Ende des Tages (ha!) geht es um unsere Wachzeit und wer dort wertvollen Platz von uns bekommt. Kategorien und Märkte sind (fast) egal, Zeit ist alles. Weil sie in vielen Aspekten die letzte relevante verbliebene Knappheit ist und bleibt.

Dieser Text ist zuerst in Nexus 69: Es gibt kein Vakuum in der Wirtschaft am 28.05.2021 erschienen. Nexus ist das Mitgliederangebot von neunetz.com mit zusätzlichem Newsletter, exklusiven Podcasts und einem Discord-Forum. Mehr Informationen zum Mitglieder-Angebot hier.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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