So beginnt die Erosion der Netzneutralität. heise online:
In den kommenden Monaten schaltet der Mobilfunknetzbetreiber Orange in insgesamt 20 Ländern den Zugriff auf die mobilen Wikipedia-Seiten frei. Beim Abruf der Seiten fallen dann keine Datenübertragungskosten an.
Einzelnen Sites einen kostenfreien Zugriff zu erlauben, ist genau so eine Verletzung von Netzneutralität, wie für den Zugang zu trafficintensiven Sites, wie YouTube etwa, mehr zu Geld zu verlangen. Leider beschränkt man sich bei der Beschreibung von Netzneutralität immer auf letzteres Beispiel.
Der Mobilfunknetzanbieter Orange macht die mobile Wikipedia natürlich nicht aus Eigennutz kostenfrei:
Der Schritt ist nicht uneigennützig: „Die große Mehrheit unserer Kunden in Afrika nutzt Prepaid-Verträge und setzt SIM-Karten verschiedener Anbieter ein“, erklärt Orange-Sprecher Yann Kandelman. „Mit der neuen Initiative wollen wir dazu beitragen, dass die Orange-Karte in Zukunft bevorzugt benutzt wird.“
Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass Wikipedia und Wikimedia mit Orange hierbei kooperieren. Auch wenn das Ziel nachvollziehbar ist, stellt sich doch die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt.
Es ist durchaus diskutierbar, ob in diesem Fall die Verletzung der Gleichbehandlung der Daten rechtfertigbar ist. Wenn das aber rechtfertigbar ist, wird die Netzneutralität selbst Verhandlungsmasse. Das heißt, man muss sich in diesem Fall schon entscheiden; statt zu ignorieren.
Wahrscheinlich wird diese Verletzung von leider noch nirgendwo gesetzlich festgeschriebener Netzneutralität aber erneut niemanden interessieren, denn es ist nicht das erste Mal, dass auf diese Weise einem einzelnen Webangebot Vorzüge eingeräumt werden, ohne dass das jemanden stört:
Auch Facebook bietet in vielen Ländern kostenfreie Zugriffe auf eine abgespeckte Version des sozialen Netzwerkes (‚Facebook Zero‘) über kooperierende Mobilfunkanbieter an.
Seit der Bekanntgabe von Facebook Zero im Mai 2010 blieb ein Aufschrei in der Netzaktivistenszene aus. Unwahrscheinlich, dass nun ausgerechnet bei Wikipedia die Kritiker aufwachen werden.
Siehe auch:
Mathias Schindler says
Hallo Marcel,
ich glaube, deinem Blogbeitrag liegt eine falsche Annahme zugrunde, die dann zu dem Netzneutralitätsverstoßvorwurf führt. Das, was Vodafone anbietet, wird nicht als Internetzugang angepriesen, sondern als kostenloser Wikipedia-Zugang.
*Wenn* Vodafone sagen würde „hier Internet-Zugang!“ und dann Seiten sperren, bevorzugen, ausbremsen, unterschiedlich abrechnen würde, dann hätte man die Netzneutralitätsfrage eröffnet, das findet aber nicht statt.
Man kann das vielleicht auch damit auflösen, dass, wenn Vodafone morgen durch ein Firmwareupdate seiner Telefone den Zugang der Wikipedia nicht mehr über IP-Datenverbindung, sondern über irgendeine andere Art liefern würde, sich nichts an dem ursprünglichen Claim ändern würde. Insofern sind auch andere Punkte wie Kostenfragen etc zweitrangig und würden bei anderen Parametern nichts an der Grundaussage ändern.
Viele Grüße,
Mathias (WMDE)
Marcel Weiss says
Hm, ich verstehe, was du meinst. Das kommt mir aber wie Wortklauberei vor. Es bleibt ein bevorzugter Zugriff auf einen bestimmten Webdienst, oder?
Kris Kelvin says
Mathias, du unterstellst, dass man mit den Orange-Karten nur die Wikipedia wird anzeigen können, aber keine anderen Seiten, dass es sich also gar nicht um einen normalen INternet-Zugang handelt? Dafür habe ich keine Belege gefunden. Im Gegenteil, in der Pressemitteilung heißt es:
„They can access the Wikipedia encyclopaedia services for as many times
as they like at no extra charge as long as they stay within Wikipedia’s
pages.“
Es liegt also IMHO ganz klar ein Verstoß gegen die Netzneutralität vor.
Allerdings ist dieser Verstoß für sich genommen noch kein Argument gegen das kostenlose Bereitstellen der Wikipedia, @Marcel Weiss. Es spricht ja sogar einiges dafür. Diese Aktion wirft deshalb die Frage auf, ob die kategorische Befürwortung der Netzneutralität wirklich gerechtfertigt ist. Möglicherweise handelt es sich bei den Argumenten, die für die kostenlose Nutzung der Wikipedia sprechen, um Argumente, die letzten Endes auch gegen die Netzneutralität sprechen. Und wenn nicht, warum nicht?
Martin says
Wie funktioniert die Kooperation zwischen Wikimedia und Orange?
Marcel Weiss says
Stimmt, das ist auch ein Punkt, auf den ich hinaus wollte.
Watt dem een sin Uhl says
Ich denke gerade noch darüber nach, was ich davon halte, aber auf den ersten Blick scheint mir das kein Gegenstand der Netzneutralität zu sein. Nicht der Dienst Internet wird eingeschränkt oder für einzelne Services bevorzugt, sondern die Abrechnungsmodalitäten werden vom Provider beeinflusst. Das scheint mir erstmal genauso legitim, wie einen DSL 6000, DSL 16000 und VDSL anzubieten.
Die Diskussion um Netzneutralität umfasst doch die technische Regelung des Internettraffics, Verfügbarkeit und Priorisierung bestimmter Dienste. Was hier geschieht würde ich eher als Marketing ansehen oder mit einer Aktion wie von Web.de kürzlich ansehen: Mehr Service, wenn Du Dir unser Browserplugin installierst. Bindung an den Dienst halt.
Watt dem een sin Uhl says
PS: Siehe auch: http://carta.info/40879/schaff… Könnte man dann ebenfalls als Angriff auf die NN werten.
Kris Kelvin says
Natürlich wird eine Website bevorzugt: Die Wikipedia. Das ist eine Verletzung der Netzneutralität. Dass sich das auf die Rechnung auswirkt, spricht nicht im geringsten dagegen.
Watt dem een sin Uhl says
Nochmal: Netzneutralität hat – wie der Name schon sagt – die Neutralität des Netzes zum Gegenstand. Sprich – kein Service soll in der _technischen Infrastruktur_ priorisiert oder benachteiligt werden. (Wikipedia: „Die Netzneutralität ist eine Bezeichnung für die wertneutrale Datenübertragung im Internet. Sie bedeutet, dass Internetdienstanbieter (englisch internet service provider) alle Datenpakete von und an ihre Kunden unverändert und gleich gut übertragen, unabhängig davon, woher diese stammen, zu welchem Ziel sie transportiert werden sollen, was der Inhalt der Pakete ist oder welche Anwendung die Pakete generiert hat.“)
Ob ein Provider dem Kunden den DSL-Zugang künstlich geschwindigkeitsbeschränkt (siehe aktuelle CRE Folge)*), ihm einen Volumentarif oder eine Flatrate anbietet oder nur eine Flatrate für Wikipedia und Telefonanrufe für drei gegebene Familientelefonnummern, darf gerne Gegenstand von Diskussionen sein, ist aber keine Frage der Netzneutralität. Die sog. „Homezone“ ist auch keine Netzpriorisierung, sondern schlichtweg ein Kulanz-kalkuliertes Abrechnungsmodell.
*) das wäre noch im Ansatz Gegenstand der Debatte. Letztlich wird hier aber nur der Zugang beeinträchtigt, noch nicht das Netz selbst.
Kris Kelvin says
„Sprich – kein Service soll in der _technischen Infrastruktur_ priorisiert oder benachteiligt werden.“
Keineswegs, die Netzneutralität erstreckt sich nicht nur eine einheitliche Geschwindigkeit der Datenpakete, sondern auch einen einheitlichen Preis für diese Pakete: Gleichbehandlung unabhängig von der Herkunft der Daten. Zitate aus der Wikipedia als Beleg für irgendetwas zu verwenden ist Quatsch. Als die Telekom vor ca. einem Jahr gegen die Netzneutralität argumentierte, ging es auch keineswegs um die Geschindigkeit. Sondern darum, abhängig von der Herkunft der Daten zusätzlich Geld zu verlangen — in dem Fall nicht vom Kunden, sondern von Hostern wie z.B. Youtube/Google.
„Ob ein Provider dem Kunden den DSL-Zugang künstlich
geschwindigkeitsbeschränkt (siehe aktuelle CRE Folge)*), ihm einen
Volumentarif oder eine Flatrate anbietet oder nur eine Flatrate für
Wikipedia“
Da vermischst du etwas: Beim Volumentarif oder einem Geschwindigkeitsbeschränkten Zugang werden alle Datenpakete gleich behandelt, bei einem kostenlosen Zugang zur Wikipedia oder einem zusätzlich-kostenpflichtigen z.B. für Skype (T-Mobile machte das mal) ist das nicht der Fall.
Damit will ich übrigens nicht sagen, dass das kostenlose Anbieten des Wikipedia-Zugangs falsch sei, siehe meinen Kommentar weiter oben.
Watt dem een sin Uhl says
„sondern auch einen einheitlichen Preis für diese Pakete“ – das ist ja schon Provider-übergreifend nicht einheitlich und auch nicht für Mobil- und Festnetzbereiche.
„Zitate aus der Wikipedia als Beleg für irgendetwas zu verwenden ist Quatsch“ – Genauso Quatsch wie ohne Belege zu argumentieren ;)
„ging es auch keineswegs um die Geschindigkeit. Sondern darum, abhängig von der Herkunft der Daten zusätzlich Geld zu verlangen“ – Ich nenne das Priorisierung von Daten. Daten werden analysiert und bewertet. Wenn Du Datenübertragung preislich unterscheiden willst, musst Du technisch das Auslieferungsverhalten beeinflussen (Infrastrukturmaßnahme!), sonst hast Du ja gar kein Druckmittel.
„ bei einem kostenlosen Zugang zur Wikipedia …
ist das nicht der Fall.“ – Doch, ist es. Der einzige Unterschied ist die Abrechnung. Die Daten werden nicht schneller oder verfügbarer, dadurch, dass sie umsonst angeboten werden.
„oder einem
zusätzlich-kostenpflichtigen z.B. für Skype (T-Mobile machte das mal)“ – hab ich nie behauptet. Gleiches Argument wie oben, um das zu bewerkstelligen, musst DU den Netzverkehr analysieren und die Auslieferuing solcher Daten technisch verhindern oder Verlangsamen. Ein technischer Eingriff ins Netz.
Ich merke schon, wir kommen hier nicht überein. Aber bitte denke noch einmal genau nach, welche Aussage welche Hintergründe bedingt.
Kris Kelvin says
„„sondern auch einen einheitlichen Preis für diese Pakete“ – das ist ja schon Provider-übergreifend nicht einheitlich und auch nicht für Mobil- und Festnetzbereiche.“
Na und? Es geht um die Bevorzugung/Benachteilungung von Websites oder Protokollen, von Diensteanbietern wie Google oder Wikipedia. Netzneutralität bezieht sich nicht auf unterschiedliche Tarife, die weiterhin (unabhängig von deren Herkunft) einheitliche Preise für die übertragenen Datenpakete verlangen.
„„Zitate aus der Wikipedia als Beleg für irgendetwas zu verwenden ist Quatsch“ – Genauso Quatsch wie ohne Belege zu argumentieren ;)“
Na dann sind wir ja auf gleichem Stand. Wenn du aber einen Link zu Forderung der Telekom willst, Diensteanbieter unterschiedlich zu bepreisen, kann ich ihn gerne raussuchen.
„„ging es auch keineswegs um die Geschindigkeit. Sondern darum, abhängig von der Herkunft der Daten zusätzlich Geld zu verlangen“ – Ich nenne das Priorisierung von Daten. Daten werden analysiert und bewertet. Wenn Du Datenübertragung preislich unterscheiden willst, musst Du technisch das Auslieferungsverhalten beeinflussen (Infrastrukturmaßnahme!), sonst hast Du ja gar kein Druckmittel.“
Teilweise: Ein Druckmittel braucht man, wenn der Provider für einen Dienst (z.B. Youtube) mehr Geld sehen will, bei weniger Geld natürlich nicht. Eine Gleichbehandlung schließt nicht nur eine höhere Bepreisung aus, sondern auch eine niedrigere. Sonst wäre es keine Gleichbehandlung.
Allgemein gilt auch: Wenn man nur gegen höhere Preise für bestimmte Dienste ist, muss man begründen, warum niedrigere Preise für bestimmte Dienste erlaubt sein sollen; und wenn man für niedrigere Preise für bestimmte Dienste (z.B. Wikipedia) ist, muss man begründen, warum erhöhte Preise für andere Dienste verboten sein sollen.
„Ich merke schon, wir kommen hier nicht überein.“
Ja, und zwar bei der Frage, ob sich Netzneutralität nur auf die Drosselung
von einzelnen Diensten als Druckmittel für höhere Preise bezieht — oder
nicht. Hier herrscht meines Erachtens ein einseitiger Fokus auf höheren
Preisen, niedrigere werden unbegründet ausgeblendet.
Übrigens wäre es für den ISP sicherlich auch möglich, für Daten von youtube.com dem Nutzer mehr Geld in Rechnung zu stellen, ohne dabei irgendetwas zu drosseln. (Selbstverständlich müsste das vorher in den AGB vereinbart worden sein.)