Twitter hat am letzten Freitag neben dem Ende der Kooperation mit LinkedIn bekanntgegeben, dass in den nächsten Wochen striktere API-Regeln eingeführt werden.
AllThingsD berichtet über die wahrscheinlichen Konsequenzen, die ein weiteres Ausbluten der Twitter-Clients bedeuten könnten:
While ending the LinkedIn deal was big, I’ve heard from several sources that we should expect more of the same in the not-too-distant future. Just give a close read to product manager Sippey’s blog post, which went up just minutes before LinkedIn’s post. Sippy’s missive contains some especially strong wording, a harbinger of what’s to come for other developers:
“…we’ve already begun to more thoroughly enforce our Developer Rules of the Road with partners, for example with branding, and in the coming weeks, we will be introducing stricter guidelines around how the Twitter API is used,” Sippey wrote.
Das ist lediglich die nächste Runde des Kampfes, den Twitter gegen die eigene Plattform führt, weil sie in ihrer aktuellen Form nicht mehr mit dem gewählten Geschäftsmodell kompatibel ist. Warum Twitter das macht und warum es für den Dienst nicht die beste Richtung ist, hatte ich in den letzten Jahren seit der Übernahme des Twitter-Clients Tweetie bereits mehrfach ausgeführt.
Hier die Kurzform: Das auf Werbung setzende Geschäftsmodell setzt voraus, dass die User die Werbung auch sehen. Wer weder die Website noch einen der offiziellen Clients benutzt, bleibt außen vor. Ab einem bestimmten Anteil an Nutzern wird das für Twitter inakzeptabel. Twitter muss also entweder die über Clients stattfindende Nutzung seines Netzwerks mit den eigenen Angeboten dominieren oder sie anderweitig kontrollieren. Daraus folgt der Verlust des Mehrwerts der Plattform für das Unternehmen wie seine Nutzer.
Der höchstwahrscheinlich nächste Schritt von Twitter, den ich seit längerem erwarte: Twitterclient-Anbieter, die mit ihren Angeboten eine normale Twitter-Nutzung abdecken, müssen die Werbeformen und andere ‚Features‘ wie etwa Trending zwingend auf eine von Twitter vorgegebene Art integrieren. Angekündigt wird das indirekt bereits mit dem PR-Geschwurbel der ‚consistent Twitter experience‘. Wie diese Vorgabe aussehen wird? Analog zu denen in den offiziellen Twitter-Clients. Twitter macht bereits über die Hälfte der Werbeeinnahmen über mobile Wege (Website, eigene App). Auf Smartphones dominieren Clients noch mehr als am Desktop. Der Schritt war unvermeidbar für ein rein auf Werbung fokussiertes Twitter.
Den Niedergang der Twitterplattform verfolge ich seit April 2010. Hier die Analysen in chronologischer Reihenfolge:
- Strategische Fehlentscheidung: Twitter kauft Mac-/iPhone-Client Tweetie
- Suboptimale Plattform-Strategie von Twitter ist gut für den Rest des Webs
- Twitter: Der Niedergang einer Plattform
- Twitters Shit-Sandwich
Das Problem für Twitter: Die für das Geschäftsmodell notwendige stärkere Kontrolle des User Interface steht diametral der Position von Twitter im Internet gegenüber.
Sichtbar wird das etwa am ersten Opfer, der Kooperation mit dem Businessnetzwerk Linkedin. Natürlich will Twitter lieber nicht, dass Tweets auf Linkedin statt auf dem werbefinanzierten Twitter gelesen, kommentiert und weiter verarbeitet werden. Aber erstens ist das Senden von Tweets an Linkedin dank Diensten wie ifttt ohnehin auch weiterhin einfach möglich, und zweitens, was wesentlich wichtiger ist, gehört dieses Multihoming für Poweruser zu den wichtigeren Eigenschaften des Mikrobloggingdienstes.
Das Dilemma: Twitters Position als einfacher Dienst ist auf die externen Erweiterungen über die API angewiesen. Jede kleinste Änderung am Kernprodukt kann sich sofort in der Nutzung bemerkbar machen und weitreichende Auswirkungen haben. Kein anderer Dienst, der auch nur ein Zehntel der Größe von Twitter erreicht hat, stand je vor diesem Problem in dieser Größenordnung.
Wahrscheinlich haben auch die Risikokapitalgeber diese Sonderstellung von Twitter bei ihren Bewertungen ignoriert. (Bei aller persönlicher Begeisterung dem Dienst als Nutzer gegenüber erschien mir Twitter immer als der am extremsten überbewertete Dienst der Web2.0-Ära. Bemerkenswerterweise sehen das bis heute die wenigsten Beobachter ähnlich, obwohl die Zeichen immer deutlicher werden.)
Diese Sonderposition von Twitter macht eine vertikale Integration strategisch genau so gefährlich wie das für andere Dienste offensichtliche Geschäftsmodell Werbung. Twitter hätte ein Grundstein der Webarchitektur werden können. Es hätte Geschäftsmodelle wie Yammer verfolgen können, das just für eine Milliarde US-Dollar von Microsoft übernommen wurde. Twitter hätte, genauer gesagt, in jede Richtung gehen können, die das asymmetrische Followerprinzip erlaubt; von Instagram bis Moped. Auch mit Nebenprodukten, die das Haupttwitter nur noch als Distibutionskanal und Identitätshub nutzen. Das alles wäre auf den ersten Blick riskanter erschienen, aber mit einem konsequenten Plattformansatz bei all diesen Richtungen aller Voraussicht nach erfolgreicher gewesen als die seit längerem eingeschlagene werbezentrische Richtung, die offensichtlich diesen Sommer zum lange erwarteten großen Clash führen wird. Gemeinsam mit Werbung als einer Einnahmequelle von vielen hätte Twitter sich mit diesem Ansatz tief in das Web verankern können. (Etwas, dass das aus unerfindlichen Gründen sehr viel stärker kritisierte Facebook erfolgreich macht.)
Tatsächlich scheint es laut Dalton Caldwell intern bei Twitter zwischen diesen zwei Ansätzen eine Debatte gegeben zu haben, deren Ausgang heute bekannt ist:
As I understand, a hugely divisive internal debate occurred among Twitter employees around this time [ca. 2008/2009]. One camp wanted to build the entire business around their realtime API. In this scenario, Twitter would have turned into something like a realtime cloud API company. The other camp looked at Google’s advertising model for inspiration, and decided that building their own version of AdWords would be the right way to go.
As you likely already know, the advertising group won that battle, and many of the open API people left the company.
Dalton Caldwell kommt zu dem gleichen Schluß, zu dem auch ich vor einiger Zeit gekommen bin:
While I can understand why the latter camp wanted to build an ad-based business, the futurist in me thinks this was a tragic mistake. If you are building an advertising/media business, it would then follow that you need to own all of the screen real-estate that users see. The next logical step would be to kill all 3rd-party clients, and lock down the data in the global firehose in order to control the “content”.
Dass Twitter die Ankündigung an einem Freitag Nachmittag veröffentlicht hat, zeigt, dass das Unternehmen weiß, welchen Shitstorm bei Entwicklern und Usern die eingeschlagene Richtung mit sich bringen wird. Eine gefährliche Richtung: Die Monetarisierung steht bei Twitter heute vor den Interessen der Entwickler und der User, und damit also der Plattform. Die Plattform hat Twitter groß gemacht. Das weiß man spätestens seit 2007. Ein plattformfeindliches Geschäftsmodell könnte bedeuten, dass Twitter wieder in die Bedeutungslosigkeit abrutscht.
Karsten Wenzlaff says
Sehr guter Artikel, müsste man eigentlich noch mehr dazu schreiben, warum der Rückzug aus der Linkedin-Api von der Philosophie der gleiche Fehler ist wie das Rauswerfen von Flattr aus dem App-Store.
Eine Anmerkung noch: Dein Plugin für die ähnlichen Artikel scheint kaputt zu sein, alle Artikel werden doppelt angezeigt.
Jens Grochtdreis says
Ich nutze Twitter täglich, aber eherlich gesagt habe ich auch mit dem offiziellen Twitter-Client noch keine Werbung gesehen. Die Webseite selber nutze ich hin und wieder und auch da ist mir keine Werbung untergekommen. Ich frage mich ja auch schon seit Jahren, wie Twitter sich finanziert. Aber Werbung? Wo?
Marcel Weiss says
Die Werbung auf Twitter ist noch verhältnismäßig jung als Werbeform. Deutsche Werbekunden tun sich traditionell schwer, neue Werbeformen auszuprobieren.