7. Juli 2010 Lesezeit: 3 Min.

Flattr, der Wert des Filterns und mentale Transaktionskosten

Warum Flattr auch das Verweisen auf fremde Inhalte belohnt und warum Flattr und Kachingle mit der Senkung der mentalen Transaktionskosten auf die einzige Zukunft von Micropayments verweisen.

Sascha Lobo hat darüber geschrieben, warum er den Micropaymentdienst Flattr nicht nutzt. Jörg Wittkewitz hat sich einen Kommentar zu Lobos Artikel herausgepickt:

Was mich auch wundert und skeptisch macht: Dass gerade bei den mittelgroßen bis großen Blogs auch “fremde” Inhalte geflattert werden. Wer sind diese Menschen, die ein Fettes-Brot-Video auf Spreeblick flattern? [...]

Wittkewitz kommentiert:

Jeder ist ja frei, zu tun, was ihm oder ihr beliebt mit dem erarbeiteten oder ererbten Geld. Aber das Entlohnen fremder Leistungen geht doch dann wirklich und entschieden zu weit, oder?

Das unterstellt, dass das Veröffentlichen des Fettes-Brot-Videos auf Spreeblick, um beim Beispiel zu bleiben, keinerlei Wert in sich selbst hat.

Warum soll es unter den Spreeblick-Lesern niemanden geben, der Fettes Brot nicht kennt oder der jenes Video noch nicht kannte und sich eben dafür bedankte, dass er auf dieses aufmerksam gemacht wurde?

Boing Boing oder Nerdcore sind Blogs, die hauptsächlich auf fremde Inhalte verweisen. Sie aggregieren und filtern also Inhalte. Beide sind überaus erfolgreiche Blogs, die von vielen Leuten gelesen werden. Also scheinen sie eine gewisse Leistung zu erbringen, die von Leuten anerkannt wird. Wer sich fragt, wer diese zitierten und gefilterten Inhalte flattrt, muss sich auch fragen, wer diese Inhalte liest. Offensichtlich halten viele dieser Blogleser, dies durchaus für eine Leistung. Und natürlich muss jeder, der die Zunahme der Informationen online zumindest anerkennt, das Schaffen von Boing Boing und Nerdcore als eine Leistung anerkennen. Wo ein Reichtum an Informationen herrscht, besteht ein Bedarf nach Filtern.

Ich glaube, wie ich bereits ausführlich ausgeführt habe, dass mit Flattr und co. originäre Inhalte eher belohnt werden als kurze Verweise postende Aggregatoren und Filter. Das impliziert aber nicht, dass letztere kein 'Anrecht' auf Entlohnung via Flattr haben. Wenn jemand etwas als flattrwert ansieht, dann ist es das auch.

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Zu Sascha Lobos allgemeiner Kritik an Flattr schreibt Leander Wattig unter anderem:

Es kommt mir beim Lesen vieler Blogs immer stärker so vor, als ob derzeit Viele das, was man Geschenkökonomie nennen könnte, mit einzelnen Plattformen/Anbietern wie Flattr gleichsetzen. Ich sehe diese enge Verbindung nicht. Für mich klingt das ein bisschen so, als wollte man bspw. den Sinn oder Unsinn des Social Webs nach den derzeitigen Funktionen einer einzelnen Plattform wie Facebook beurteilen.

Das stimmt. Sonderlich erkenntnisbringend ist das alleinige Einschiessen auf einzelne Plattformen ohne das Betrachten der dahinterliegenden Konzepte nicht gerade (was ich Lobo nicht unterstelle).

Eines der wesentlichen Merkmale von Flattr und Kachingle ist die simple Tatsache, dass das Abo-Modell (fester Betrag pro Monat unabhängig der konsumierten und 'belohnten' Inhalte) zu der notwendigen Senkung der mentalen Transaktionskosten führt, damit Micropayment überhaupt erst wirtschaftlich sinnvoll wird. Über mentale Transaktionskosten und Micropayment hat Clay Shirky bereits 2000(!) ausführlich geschrieben:

Micropayments, like all payments, require a comparison: "Is this much of X worth that much of Y?" There is a minimum mental transaction cost created by this fact that cannot be optimized away, because the only transaction a user will be willing to approve with no thought will be one that costs them nothing, which is no transaction at all.

Thus the anxiety of buying is a permanent feature of micropayment systems, since economic decisions are made on the margin - not, "Is a drink worth a dollar?" but, "Is the next drink worth the next dollar?" Anything that requires the user to approve a transaction creates this anxiety, no matter what the mechanism for deciding or paying is.


Das Abomodell und die Position nach der Veröffentlichung und damit auch nach dem Konsum (und damit gleichzeitig dem Ausschalten des Kaufrisikos) sind die Gründe, die diese Micropaymentsysteme erst wirklich sinnvoll machen.

Paywalls bzw. Bezahlschranken als die entgegengesetzte Form von Micropayment funktionieren praktisch nie aus genau diesen Gründen:

  • Zu hohe mentale Transaktionskosten
  • Wettbewerbssituation (Nachfragermarkt, auf dem Konkurrenten sofort nachrutschen können)
  • Wettbewerb gegen effizientere Distribution, wenn diese von der Produktion losgelöst ist (Was wiederrum zur Verschärfung der obigen Wettbewerbssituation führt und damit zu höheren Opportunitätskosten)

Ob Flattr oder Kachingle oder ein anderer Dienst es zum Durchbruch schaffen wird, ist völlig offen. Höchstwahrscheinlich dagegen aber ist, dass wir hier das Entstehen des genuinen Internetmicropayment-Konzepts sehen.

Wird Micropayment in dieser oder leicht anderer Form irgendwann einmal weite Teile der im Internet erstellten und/oder vertriebenen Inhalte refinanzieren? Unwahrscheinlich. Es wird ein weiteres Standbein sein, aber mehr wohl nicht.

Abgesehen davon, dass die komplette Refinanzierung gar nicht immer notwendig ist, weil vieles, wie etwa die Wikipedia, auf nichtkommerzieller Basis entsteht:

Wenn uns die letzten zehn Jahre Internet ein was gelehrt haben, dann dass Mischkalkulationen die Geschäftsmodelle im Netz bestimmen.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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