27. März 2012 Lesezeit: 2 Min.

Parteistilwechsel

Marcel-André Casasola Merkle über den Unterschied der Piraten zu den anderen Parteien, der sich nicht nur bei den Inhalten sondern auch und gerade in den Prozessen bemerkbar macht:

Der Saarland-Wahlkampf 2012 hat gezeigt, wie sehr die gerade die Volksparteien noch den überkommenen Ritualen verhaftet sind. CDU und SPD haben die Wahl zwischen alternativen politischen Konzepten auf die Frage nach dem „sie“ oder „er“ eingedampft. Das spiegelt ihre innere Verfassung wieder. Politik von oben gibt es ja nicht nur im Verhältnis Politiker zu Bürger, sondern ist in den Parteien selbst fest verankert. Spitzenkandidaten in kleinen Zirkeln zu bestimmen, anstatt die Basis einzubeziehen, befremdet nicht, sondern gilt als besonders schlagkräftig. Wer aber innerparteilich rein strategisch und hierarchisch agiert, kann auch nach außen Beteiligung und Ehrlichkeit nicht glaubhaft kommunizieren.

Die Parteien müssen sich künftig damit auseinandersetzen, dass die Wähler sich in zwei Gruppen spalten. Mit unvereinbaren Erwartungen. Zur Schau getragene Führungsstärke wird noch eine ganze Weile belohnt werden. Aber einen wachsenden Teil der Wähler erreicht man damit in Zukunft nicht mehr.


Die Bekenntnis zur Basisdemokratie ist nicht neu. Die Grünen sind seinerzeit mit dem gleichen Anspruch angetreten. Sascha Lobo auf Spiegel Online:

Ein Grund für den Erfolg der Piraten ist nämlich nicht nur die Netzpolitik - sondern auch die Art, wie Politik stattfindet: prozessual, vernetzt, dauerdemokratisch. Mit allen Tücken, die diese nervenzehrende Diskussion mit sich bringt, und die die Grünen schon vor 30 Jahren durchmessen haben in der Geschmacksrichtung "vordigitale Basisdemokratie".

Im Gegensatz zu den Inhalten - Umweltpolitik ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen - haben die Grünen auf der prozessualen Ebene allerdings versagt.

Der Unterschied liegt nun nicht darin, dass die Piraten es ernster meinen als die Grünen damals, oder dass die Piratenwähler es ernster meinen als die Grünenwähler seinerzeit. Tun sie nämlich nicht.

Der Unterschied liegt in den Werkzeugen, die den Piraten heute zur Verfügung stehen, um intern dieses Versprechen einzulösen. Diese Werkzeuge ermöglichen ihnen Wege, die den Grünen immer verschlossen geblieben sind. Natürlich sind die ersten Experimente mit diesen Tools chaotisch und oft von Fehlschlägen gekennzeichnet. Aber die Partei als System wird dazulernen und diese Erfahrungswerte werden sich in immer besser funktionierenden Prozessen niederschlagen.

Auf der anderen Seite haben auch die Wähler, Piratenwähler und potentielle Piratenwähler, neue, sehr viel effizientere Kommunikationswerkzeuge an der Hand. Das macht sich unter anderem in den verhältnismäßig schnell eintretenden Wahlerfolgen sichtbar. Es ist mittlerweile nicht mehr unwahrscheinlich, dass die Piraten bei jeder anstehenden Landtagswahl in den jeweiligen Landtag einziehen; und das gleiche gilt für den Bundestag.

Dass diese Erfolge die klassischen Medien von Tageszeitung bis Tagesschau zwingen, den Piraten eine wie auch immer geartete Bühne zu geben, komplimentiert die neuen Werkzeuge und deren Auswirkungen.

Die Piraten vollziehen gerade als Partei weniger in den Inhalten, das ist die Spitze des Eisbergs, und mehr in den Prozessen eine Disruption des Parteiensystems. Denn sie können auf diese Art, zumindest potentiell, ein Versprechen einlösen, das die anderen Parteien nicht einlösen können. Zumindest können diese das nicht, ohne die eigene Organisation in ihren Grundzügen zu verändern. Aus Erfahrung weiß man, dass das jahrzehntealten Organisationen ausgesprochen schwer fällt.

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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