Angesichts der gestern verkündeten neuen landesspezifischen Inhaltsfilter bei Twitter lassen sich zwei Dinge festhalten:
1. Je zentraler eine Kommunikations- oder Transaktionsform im Internet gestaltet ist, desto leichter wird sie logischerweise zensier- und lenkbar. Das ist bedauerlich, aber nicht neu. Und Twitter hat jedes Recht, auf seiner Plattform zu machen was sie wollen, solang es im Rahmen der Gesetze geschieht. Pro-Nazi-Tweets in Deutschland auszublenden, ist sogar im Sinne des deutschen Gesetzes. (Ohne das jetzt in die Nähe von Zensur rücken zu wollen: Auf technisches Ebene lässt sich das Abschalten von MegaUpload auch mit der Zentralität des Angebots leichter erledigen. Das Schliessen großer Bittorrenttracker hatte in der Vergangenheit maximal einen kleinen, kurzfristigen Einfluss auf den Traffic und die Nutzung des dezentralen BitTorrent-Netzwerks.)
2. Selbst die chinesische Regierung, die sehr engagiert bei der Internetzensur ist, kann die Geschwindigkeit des Microbloggings nicht aufhalten und verliert mittlerweile zumindest teilweise die Kontrolle über öffentliche Debatten. Das lässt sich beispielsweise an einem Zugunglück festmachen, das in China für viel Ärger besonders in der aufsteigenden Mittelschicht gesorgt hat. The Economist im August letzten Jahres:
Microblogging sites, notably Sina Weibo, China’s homespun version of the banned Twitter, ran unusually free comment. Reining it in would have been hard or counterproductive. Microblogs also provided an avenue for Chinese journalists to publish details on the accident in the crucial early hours, before slower-footed propaganda authorities could issue “guidance”.
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The irrepressible nature of the internet is more troubling for them in the long run, even though having an outlet for people to let off steam can do the regime a service. The leaders may regret the haste with which they built the high-speed rail network. But they may come to regret more the haste with which they fostered that other high-speed network, Sina Weibo.
Die auf dem Microblogging-Dienst Sina Weibo öffentlich zum Ausdruck gebrachte Wut konnte sogar in China auf die staatlichen Zeitungen überspringen. Ein Novum.
The Economist im September letzten Jahres:
Moreover, the Dalian protest erupted only weeks after an explosion of popular anger, mostly expressed through micro-blogging services such as Sina Weibo, which blamed official neglect for a rail crash between two new high-speed trains that killed 39 people. The criticism was so widespread that even state-supervised media joined in.
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There is no single explanation for the new middle-class activism. Given the rise in their numbers, it was probably bound to happen at some point. The spread of micro-blogging services has surely made some difference. Sina Weibo claims 140m users, mostly from China’s urban middle class. They posted 10m messages about the rail crash within days.
Während es also sicher enttäuschend ist, dass Twitter sich regionalen Gesetzgebungen beugt, so bleibt zumindest die Gewissheit, dass allein die Geschwindigkeit und die Masse der Einträge bei Microblogging die öffentlichen Meinungsäußerungen auf den Plattformen nur sehr schwer bis gar nicht auf eine strenge Regierungslinie bringen lassen.