Es ist erstaunlich, wie sehr selbst intelligente Menschen die Bedeutung des Urheberrechts überschätzen. Oft wird in der Debatte so argumentiert, als würde jeder einzelne kreative Schaffensprozess daran hängen, ob wir das Urheberrecht in der heutigen Form behalten oder nicht. Eine leichte Verkürzung der Schutzfristen und wir sehen nie wieder ein neues Musikalbum oder einen neuen Roman das Licht der Welt erblicken!
Das ist natürlich Quatsch.
Tatsächlich spielt das Urheberrecht für das Geschäft in ganz vielen Bereichen, wie etwa bei (Print-)Tageszeitungen, entgegen oft dahin geworfener Aussagen überhaupt keine Rolle. Für solche, für die es eine Rolle spielt, hängt die Rolle eng am gewählten Geschäftsmodell (Tonträgerunternehmen). Das Recht ist dann wichtig für von diesen Prozessen abhängige Unternehmen. Nicht zwingend aber für die Prozessunabhängigeren (die Urheber selbst etwa).
Die oft kaum vorhandene Bedeutung des Urheberrechts im Alltag merkt man meist erst dann, wenn man feststellt, dass ein schwächeres Urheberrecht gar keine negativen Auswirkungen hat. (Etwas, dass keiner der Urheberrechtsmaximalisten von Handelsblatt bis Tatort-Autor jemals empirisch feststellen wird, weil diese immer das Maximum des sich immer weiter ausweitenden Urheberrechts in Anspruch nehmen. Ihnen fehlt somit jede empirische Untermauerung ihrer Argumente. (Neben fehlender Theorie und innerer Logik der Argumente))
Malte Welding hat in der FAZ die Relationen ein wenig gerade gerückt:
Keiner verdient also so recht. Aber doch stehen ganz oben, so weit oben, dass der Autor sie niemals zu Gesicht bekommt, Leute, mit denen verglichen Lady Gaga Hartz-IV-Empfängerin ist. Piper gehört zum schwedischen Bonnier-Konzern, zusammen mit Ullstein, Pendo, Carlsen und einigen anderen deutschen Verlagen. Die Bonnier-Sippe gehört zu den reichsten Schweden. Man kann also nicht nur leben vom Schreiben, man kann sogar sehr gut davon leben – wenn man es nicht gerade selbst praktiziert. Halten wir also noch einmal fest: Bei „Spreeblick“ haben wir unsere Texte frei zur Verfügung gestellt, jeder hätte sie unter Verweis auf uns in seinen Blog stellen, verändern, bearbeiten, verhackstücken können. Unser Problem war kein zu schwaches Urheberrecht, unser Problem war eine zu schwache Aufmerksamkeit.
Das bringt es gut auf den Punkt: Für viele Kreativschaffende ist Unbekanntheit ein viel größerer Feind als zu viel Bekanntheit, die sich nicht gleich direkt monetarisieren lässt (Filesharing etc.).
Und natürlich helfen die neuen Informationstools enorm der Wissens- und Kulturproduktion, statt ihr zu schaden:
Darüber hinaus hätte mein erstes Buch leicht doppelt, wenn nicht dreimal so viel Zeit in Anspruch genommen, hätte es nicht Google Books und Google Scholar gegeben. Statt meine Zeit mit Fahrten in Archive zu verplempern, konnte ich die Busfahrzeit auf null reduzieren und entsprechend die Schreibzeit erhöhen.
Malte Weldings Aufruf, dass Künstler sich auf Geschäftsmodelle und das Geld verdienen einlassen müssen, dass sie anfangen, sich mit der Geschäftsseite zu beschäftigen, kann ich nur unterschreiben:
Künstler müssen eines: wissen, von wem sie Geld bekommen können. Und es von demjenigen fordern. Schnell sein. Mischkalkulationen anstellen. Solidarisch sein. Materialistisch sein. Und nicht: Geisterdebatten führen.
Gerade in den heutigen Zeiten ermöglicht die Verschiebung der Prozesse auch Kreativität beim Geld verdienen. Wenn neue Wege möglich werden, kann man sich auch als Kreativer emanzipieren und entweder von einer besseren Verhandlungsposition aus mehr heraushandeln oder einen eigenen Weg gehen, der vielleicht an den Rändern aufwendiger ist, aber auch mehr Freiheit mit sich bringt. Siehe hierzu auch: Erfolgversprechende Geschäftsmodelle im Filesharing-Zeitalter.
Lari Syrota says
Irgendwie geht bei dieser ganzen Urheberrechtsdiskussion etwas total verloren, das ich essentiell finde: Es geht doch nicht nur um Finanzielles, sondern auch um das Kontrollieren der Weiterverwertung. Ich für meinen Teil kann mir jedenfalls nichts schlimmeres vorstellen, als einen sorgfältig ausgearbeiteten Underground-Club-Technotrack zu releasen und dann mitanschauen zu müssen, wie irgendein David Guetta 10 Jahre später meinen Track nimmt, ihn „primitivisiert“, irgendwelche R&B-Vocals reinhaut und dafür auch noch gefeiert wird (und das, als wäre es nicht schon scheiße genug, auch noch, ohne dass mein Name irgendwo erwähnt wird). Finde das Urheberrecht in dieser Hinsicht viel relevanter als bei der Frage, ob nach 10 Jahren überhaupt noch nennenswerte Einkünfte erzielt werden (was natürlich in 95% der Fälle nicht zutrifft).
David Wankmüller says
Der Artikel ist ziemlich unfug *troll*. Für jeden Kunstschafenden, ob nun musiker, schreiber oder denker ist es wichtig entlohnt zu werden. Und das Problem ist auch nicht das Urheberrecht, sondern die macht der Verwertungsindustrie darauf.
Marcel Weiss says
Und dein Punkt ist?
Jonathan says
Hallo, weil ich hier regelmäßig kritisch kommentiere, erlaube ich mir – leicht Off-Topic – auf diesen Blogbeitrag von mir hinzuweisen. Ich hoffe das ist in Ordnung (ansonsten gerne Kommentar löschen) und ich hoffe noch mehr, dass es interessante Lektüre ist.
http://www.zeichenlese.de/poli…
Anja Strauss says
Genau dieses Verständnis von „Kontrollieren der Weiterverwertung“ ist doch für Kultur gesellschaftlich eigentlich nie so gehandhabt worden. Die Geschichte ist voll davon, dass ein Künstler die Idee eines anderen weiterentwickelt hat. Manchmal führt das in Sackgassen, manchmal entwickeln sich daraus kulturelle Perlen. Da gibt es unzählige Beispiele in Malerei, Literatur und Musik. Und nicht immer wurde der ursprüngliche Ideengeber genannt, geschweige denn Tantiemen an diesen oder die Erben gezahlt. Das passende Zitat dazu ist, dass wir alle Zwerge auf den Schultern von Riesen sind (natürlich nicht von mir und auch nicht perfekt zitiert). So ein Technotrack hat ja auch musikalische Wurzeln.
Lari Syrota says
Natürlich ist das Anknüpfen an Früheres und das Weiterentwickeln bereits existenter Ideen ein wichtiger Bestandteil von Kultur. Das ist aber auch weitestgehend möglich, ohne mit dem Urheber des ursprünglichen Werkes in Konflikt zu treten. Gerade da kann man auch gerne ein bisschen am Urheberrecht herumschrauben (dass der Status quo nicht zeitgemäß ist, liegt ja auf der Hand).
Nur habe ich jetzt absichtlich ein eher persönliches, dafür wenig kontroverses Beispiel gewählt. Genauso könnte ich fragen, ob es okay ist, wenn ich einen Artikel schreibe und dieser nach Ablauf der Urheberrechtsfrist sinnentfremdet auf einer rechtsextremen Website für Propagandazwecke genutzt wird. Oder wenn ich ein Programm schreibe, das später entgegen meinem ausdrücklichen Willen verwendet wird, um Ticketverkäufe für Mario Barth anzukurbeln. Oder wenn religiöse Fanatisten irgendwann einen von mir geschriebenen fiktionalen Roman als dystopische Zukunftsprognose an jeden Haushalt Europas verteilen. Oder oder oder. Ich will einfach zeigen: Hier geht's nicht nur ums Geld. (Einen David Guetta würde ich meinen Track ja auch nicht für 'ne halbe Million Euro verschandeln lassen.)
HansGretler says
Und wenn die Bedeutung des Urheberrechts tatsächlich überschätzt wird: Warum wird vom Betreiber dieses Blogs so viel Wind darum gemacht? Warum werden die Meinungen von Urheberrechtsverfechtern von oben herab beurteilt und nicht einfach mal so stehen gelassen? Ich finde es ehrlich gesagt ein bisschen arrogant, wenn hier die eigenen Meinungen des Betreibers als Fakten verkauft werden anstatt sie so darzustellen, was sie sind: persönliche Empfindungen. Ob es nun stimmt, dass das geltende Urheberrecht überholt ist, will ich mal dahingestellt lassen. Doch beispielsweise so einfach zu behaupten, eine Schutzfrist von 15 Jahren sei zeitgemäßer als 70 Jahre (und warum eigentlich?), finde ich nicht sachlich. Mich stört immer wieder der genervte Unterton des Verfassers, bei allem Respekt vor der Beschäftigung mit der Materie.
Marcel Weiss says
Die 15 Jahre basieren auf akademischen Abhandlungen. Siehe zB hier: http://rufuspollock.org/econom…
HansGretler says
Danke! Kann man das auch in ein paar Sätzen begründen?
chrwinkler says
für all die von dir beschriebenen fälle würde das persönlichkeitsrecht völlig ausreichen. im deutschen urheberrecht vermischen sich aber persönlichkeitsrecht mit verwertungsrecht. es ist im gegenteil so dass die npd dieses „sinnentfremdende“ als freie bearbeitung geltend machen könnte und damit einen eigenen „schutz“ beanspruchen darf
chrwinkler says
Die Bedeutung des Urheberrechts als Motor kulturellen Fortschrittes ist eben ein Mythos, und als solcher sehr hartnäckig. Ich weise nochmals auf den Tanz hin der auf Grund seiner ephemeren Natur vom Schutz des Urheberrechts völlig unbelastet ist, sich aber bestens entwickelt. egal ob urban dance oder theatertanz. Diese Entwicklung und diese Dynamik dürfte es gemäß des Mantras vom Urheberrecht als Motor von kultureller Produktion eigentlich nicht geben.
adrianoesch says
konfidenzintervalle kann man doch nur beidseitig berechnen, oder? in demfall wäre es ein 99%-iges konfidenzintervall von 2-38 jahren (15+/-13), nicht?
Carlheinz Meisterburg says
Aber Hallo,
Irgendwie geht bei dieser ganzen Urheberrechtsdiskussion etwas total verloren, das ich essentiell finde: Es geht doch nicht nur um Finanzielles, sondern auch um das Kontrollieren der Weiterverwertung.
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Tja, Lari, genau darüber habe ich noch nie nachgedacht. Danke für Deine Anregung.
Ich bin, eher war, lebenslang Journalist. Und, zugegeben, in der ersten Häfte meines Berufslebens wären mir Ideen, wie die hier gedachten, überhaupt nie gekommen. Und ich finde das auch gut so.
‚Tagebuch eines Lehrlings‘ – so hieß 1956 mein erster 250-Zeiler, erschienen im badischen ‚Konradsblatt‘ als Zweiseiter. Für mich als Dreizehnjährigem der erste Glanz und Stolz. Für meine Mama womöglich dasselbe; aber 1959 waren Maurerkellen angesagter als Schreibmaschinen. Denken und schreiben waren suspekte Eigenschaften.
„Das Tagebuch eines Lehrlings“ hat mir nach der Erstveröffentlichung viel Geld eingebracht. Das ‚Konradsblatt‘ hatte mir elf Pfennig pro Druckzeile bezahlt. Fast eine Monatsmiete. Und danach haben viele andere Blätter die Short-Story nachgedruckt – und die meisten haben auch dafür bezahlt.
Und beeindruckt war ich – als Achtzehnjähriger -, als ich mein ‚Tagebuch‘ als Hörspiel dialoggetreu im SWR Baden-Baden verfolgen durfte. Nur der Autor hieß anders, was mir aber ziemlich egal war. Vierzig Jahre später habe ich denselben Plot, wiederum dialoggetreu, als ‚Tatort‘ vorempfunden.
Und – was soll das sagen?
Dem, der weiß, was ich meine, sagt das alles, dem, der mich nicht verstehen möchte, sagt es überhaupt nichts. Und Letzteren kann ich auch nicht von was auch immer überzeugen, was nicht in sein Raster passt.
Klar doch, ich musste lebenslang von meiner Arbeit leben. Das Geld musste halt reichen, drei Kinder großzuziehen. Schreiben macht sowieso nicht reich – vermarkten macht reich. Und?
Dem Spitzweg, dessen ‚Armer Poet‘ neben meiner Eingangstür hängt, habe ich nie ein Honorar bezahlt. Und wenn ich als alter Mann die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven höre, dann habe ich kein schlechtes Gewissen – sondern ein offenes Herz; und das bezweckte der Schöpfer dieser Musik.
Carlheinz Meisterburg says
Hallo Anja,
da bin ich aber per Zufall auf eine Perle gestoßen. I’m sorry, ich meine natürlich diesen Faden, an dem wir uns soeben gemeinsam aufhängen.
Gewiss gibt es nichts Künsterlisches ohne Wurzeln. Wir machen uns ja mitunter Gedanken über das Werkeln von Künstlern, deren Ausdruck bei uns keinen adäquaten Gedanken weckt; oder ein Gefühl, ein Empfinden.
Okay, darin bin ich nicht so fit. Aber bei Josef Beuys habe ich Probleme. Oder vielleicht eine leise Ahnung einer Sackgasse?
Schaue ich in der Sixtinischen Kapelle gen Himmel, dann bewegt mich das, was mir der Künstler sagt. Über Jahrhunderte hinweg.
Eigentlich dürfte ich sowas ja nicht sagen, aber kulturell sind wir inzwischen auf dem Niveau von Praktiker-Baumarkt angekommen: „120 Prozent auf alles! Außer Tiernahrung!“
Und wenn sechs Pfarrer aus drei unterschiedlichen Religionsgemeinschaften einen meiner Texte wortgetreu und ohne Verfälschung als ihre Predigt ausgeben? Verklage ich die?
Den Teufel werde ich tun.
Tantiemen bemessen sich nicht nur in Euro und Cent.
Carlheinz Meisterburg says
Hallo David,
da widerspricht Ihnen doch keiner.
Natürlich müssen Kunstschaffende leben können von dem, was ihr Hand-, Mund-, Schreibwerk ist. Aber so ganz ohne ‚Markt‘ geht das nicht. Aber das ist Binsenweisheit, die meistens einhergeht mit Lebensklugheit.
Schau, ich kann doch die sprachlich grazilsten Meisterwerke verfassen – und wenn sie keiner lesen mag?
Und ich kann – wenn ich es denn könnte – alle mir bekannten Fäkal- und Genitalbegriffe aus drei Weltsprachen so hintereinanderreihen, dass daraus ein Buch wird. Und dann nehme ich mir einen Büttel der ‚Verwertungsindustrie‘, der daraus einen Bestseller macht.
Punkt.
Meinten Sie das?