6. Juli 2011 Lesezeit: 3 Min.

Google+ bedroht mehr Twitter als Facebook

Bricht man die bekanntesten Social Networks Facebook und Twitter auf die wesentlichen Merkmale herunter, bleibt der fundamentale Unterschied bei der Konstruktion der Beziehungen:

Facebook ist symmetrisch. Man ist erst auf Facebook verknüpft, wenn beide Personen der Verbindung zugestimmt haben.

Twitter ist asymmetrisch. Das Follower-Prinzip erlaubt das Folgen anderer Nutzer. (Theoretisch kann man auch bei Twitter nur symmetrische Beziehungen zulassen, indem man seinen Account auf privat stellt. Diese Einstellung wird aber nur von Constanze Kurz verwendet.)

Google+ setzt per default auch auf das asymmetrische Follower-Prinzip.

Das ergibt auch Sinn. Google+ ist als Layer, als soziale Schicht über alles andere von Google, angelegt. Dafür, also für das Verteilen von Inhalten in verschiedensten Kontexten, sind das Follower-Prinzip und die Circles (das Aufteilen der Kontakte in adressierbare Gruppen) besser geeignet als das symmetrische Freunde-Verständnis.

Google+ ist damit eher eine neue Inkarnation von Google Buzz oder FriendFeed, denn Facebook. Das Follower-Prinzip von Twitter und der Featurereichtum eines Strreams a la FriendFeed machen Google+ aus.

Dementsprechend sehen auch die grundlegenden Nutzungsszenarien, die vom Default massgeblich geprägt werden, anders aus.

Symmetrische Beziehungen führen zu Kommunikationsnetzwerken (Facebook, XING, LinkedIn), während asymmetrische Beziehungen (Twitter, FriendFeed, Tumblr, Google+) von Publikationsnetzwerken verwendet werden, wie ich 2009 ausgeführt hatte.

Alpha-SPON-Kolumnist Sascha Lobo kommt zu dem richtigen Schluss, dass Google+ wichtig für Medien ist:

Google+ ist damit eine geschickte Annäherung an die Zukunft der Medienrezeption, in der Nachrichten aus allen möglichen Quellen zusammengeführt werden, aus der Wirtschaftsredaktion eines kanadischen Webmagazins bis zur malaysischen Foto-Bloggerin. Sortiert und verbreitet werden diese Quellen von einem sozialen Filter aus Multiplikatoren, frei von sozialen Zwängen thematisch geordnet zusammenklickbar. Google+ entspricht der personalisierten, sozialen, interaktiven Redaktion für jedes denkbare Ressort.

Es existiert eine Möglichkeit bei Facebook, persönliche Profile in Fanseiten umzuwandeln (eine Rückkehr ist nicht möglich). Eine Abstufung der Verknüpfung, so dass vor der symmetrischen Freundesbekundung ein asymmetrisches Folgen kommt, wie ich es letztes Jahr gefordert hatte und immer noch für sinnvoll halte, ist bis dato nicht gekommen.

Natürlich gibt es zusätzlich zu den User-Accounts noch die Fanseiten, aber diese sind nicht der Kern von Facebook.

Bei Twitter sieht das anders aus. Twitter hat verschiedene Nutzungsszenarien. Neben dem herkömmlichen Update und der Aphorismenschleuder ist Twitter unter anderem auch ein Tool für das Verbreiten von News.

Google+ könnte diese Nutzungsart Twitter streitig machen. Und das recht schnell. Denn Google+ hat nicht nur einen größeren Feature-Reichtum auf seiner Seite (den Twitter nicht einfach kopieren kann, ohne die Nutzerexperience des eigenen Dienstes komplett umzukrempeln) sondern auch noch eine mögliche tiefe Integration in Google-Dienste bis hin zu Android auf seiner Seite. Google+, das steckt schon im Namen, ist darauf ausgelegt, an jeder Google-Ecke dranzuhängen.

Wie sticky Google+ werden kann, zeigen bereits die Notficiations in der Sandbar in GMail, GoogleReader und co. Wer täglicher Google-Nutzer ist, kommt an diesen nicht vorbei. Die Integration ist außerdem wesentlich besser umgesetzt als bei Google Buzz seinerzeit, das auf GMail beschränkt ist und dort zu viel Platz auf dem Screen einnimmt. (Nützlich ist auch diese Chrome-Extension.)

FriendFeed, das 2009 nach der Übernahme durch Facebook nicht mehr weiterentwickelt wurde, zeigte bereits mit seinem Stream aus Tweets und News aus anderen Plattformquellen, wie viel Potential  in diesem Bereich noch steckt. (FriendFeed ist nach wie vor die erste Wahl, zum Konsumieren von Streams aus verschiedensten Quellen. Google+ ist das erste Angebot, das FriendFeed vom technischen Thron als bestes Streamkonsumentenangebot stossen könnte.)

Natürlich muss Google+ genau so wenig ein Twitter-Killer werden, wie es ein Facebook-Killer werden muss, um erfolgreich zu sein.

Aber da Google+ auf das gleiche asymmetrische Follower-Prinzip aufsetzt wie Twitter, wird es für Twitter weitaus eher Nutzer und Nutzungsszenarien streitig machen als Facebook.

Das ist auch insofern interessant, als dass Twitter bekanntlich seit einiger Zeit darauf setzt, mit Werbung die Hauptumsätze zu machen. Das schränkt den Handlungsspielraum von Twitter erheblich ein. Es kann nicht mehr "plumbing for the internet", also eine grundlegende Infrastruktur, werden, wenn aus auf Augenhöhe mit dem gleichen Geschäftsmodell mit Google konkurrieren will.

Die aufkommenden Fragen sind reichlich:

Wird man bei Twitter eine Realtime-Integration in Google+ genehmigen, wenn man damit Gefahr läuft, Eyeballs zu verlieren?

Werden die User Google+ und Twitter parallel benutzen, wenn es keine Integration geben wird?

Siehe auch:

Marcel Weiß
Unabhängiger Analyst, Publizist & Speaker ~ freier Autor bei FAZ, Podcaster auf neunetz.fm, Co-Host des Onlinehandels-Podcasts Exchanges
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