Thierry Chervel hat auf Carta einen interessanten Kommentar hinterlassen. Unter anderem schreibt er:
Das FAZ.Net ist zwar gratis, aber es ist nur ein stumpfer Abglanz der eigentlichen Inhalte aus der Print-FAZ, die nach wie vor hinter massiven Bezahlwällen verschanzt sind. Der Perlentaucher kann täglich höchstens auf ein bis zwei Artikel aus der FAZ verlinken. Für den Rest müssen unsere Leser zum Bahnhofskiosk eilen.
In Deutschland sind die Bezahlmodelle, die anderswo als das ganz große neue Ding wieder eingeführt werden sollen, nie aufgegeben worden. Die SZ-Online ist nichts weiter als das kümmerliche Schaufenster einer Printzeitung, die man wie in guten alten Zeiten kaufen soll. Und übrigens ist auch die Welt online nicht so kostenlos, wie es scheint. Die Artikel der Print-Welt stehen zwar online, sind aber durch keine offizielle Sitemap erschlossen. In Wirklichkeit stehen sie nur für Google online. Man findet die Artikel durch Zufallssuchen im Netz, kann den Inhalt der Zeitung aber nicht von welt.de her erschließen. Die Welt schickt dem Perlentaucher eine Papierzeitung, damit wir dem Netz sagen können, was in der Zeitung steht – nur durch Eingabe der Artikelüberschriften finden wir den Link.
Vor einigen Wochen schrieb er in einem Kommentar auf Carta zur SZ:
Die Print-SZ hat eine Zeitlang, wie die Welt, ihre Artikel “heimlich” online gestellt. Das heißt, sie standen online, waren aber von keiner Stelle auf sueddeutsche.de offiziell verlinkt. Eine Zeitlang konnte der Perlentaucher auf sämtliche Artikel der Print-SZ Links setzen, indem er die Überschriften der Artikel eingab – so geht es bei der Welt noch heute. Die Zeitungen machen das, damit die ahnungslosen Leser die Zeitungen nach wie vor kaufen, während die Artikel zugleich von Google gefunden werden und der Website über Google News und Google Klicks bringen. Die SZ hat das abgestellt.
(Hervorhebungen von mir)
Chervel ist Mitbegründer des Perlentauchers und kennt sich durch seine Arbeit beim Perlentaucher in der deutschen Medienlandschaft recht gut aus. Der Perlentaucher stellt unter anderem täglich eine Rundschau über die deutschen Feuilletons zusammen.
Das bemerkenswerte an der Paid-Content-Debatte ist nicht nur, dass oft so getan wird, als ob der Weg der westlichen Medien im Web nicht gepflastert wäre von gescheiterten Paid-Content-Versuchen (NYTs TimesSelect zum Beispiel). Tatsächlich gibt es abgesehen vom Wall Street Journal nicht eine Erfolgsgeschichte mit Paid Content im Web, was angesichts der Masse an Versuchen zu denken geben sollte (und selbst das WSJ hat seine Paywall sehr durchlässig gemacht über die Zeit).
Gerade in Deutschland ist bemerkenswert, dass so argumentiert wird, als wenn die deutschen Presseverlage nicht auf Paid Content und Bezahlschranken setzen würden und ihre sämtlichen Inhalte kostenlos und frei zugänglich im Netz wären. Nichts könnte ferner von der Wahrheit sein.
Die Realität sieht so aus: Bezahlmodelle für Presseinhalte im Netz sind in den letzten 12 Jahren weltweit unzählige Male gescheitert. Die aktuelle Praktik der deutschen Presseverlage, in weiten Teilen auf Unzugänglichkeit und Bezahlschranken zu setzen, bringt offensichtlich nicht die gewünschten Einnahmen.
Diese Realität wird aber natürlich nicht diskutiert. Denn ihre Implikationen, nämlich unter anderem dass Paid Content nicht die Lösung sein könnte, passt nicht in die eigenen Vorstellungen der Manager der Presseverlage. Also darf sie nicht sein.
Angesichts der Polemik der Presseverlagsvertreter gegenüber Google ist auch die Praktik interessant, Inhalte nur für Google und andere Suchmaschinen zugänglich zu machen.
Thomas says
Ich gebe dir recht, dass „Bezahlmodelle im Netz in den letzten Jahren unzählige Male gescheitert“ sind, allerdings vor allem vor allem unter dem Aspekt, damit direkt online Geld an Abonnenten zu verdienen. Den Schluss daraus zu ziehen, dass Paid Content keine Lösung für die finanziellen Probleme der Zeitungsverlage bietet liegt auf der Hand. Der Umkehrschluss den du implizierst, nämlich die Inhalte frei zugänglich zu machen wird allerdings mit dieser Erkenntnis keinesfalls zwingend. In der Praxis sind die Abonnentenbereiche und epaper der Verlage reiner (Bestands-)Kunden/Abonnenten-Service, nichts mit dem sich neue Kunden locken lassen können, das haben die Verlage längst begriffen. Die Frage es bei den Bezahlschranken zu belassen oder nicht entscheidet vor allem das Argument, dass der Kunde die Artikel eben nur in der Printausgabe erhalten kann, oder komplett verzichten muss – rigoros nach dem „Hopp oder Top“-Prinzip. Bei Magazinen kann diese Strategie sogar funktionieren, wie beim Spiegel und der Südtiroler ff gut zu beobachten, die in den Neunzigern kein Geld für einen Onlineauftritt hatte und sich später entschlossen hat nur einen rudimentären Internetauftritt zu realisieren. Bei Tageszeitungen sieht das anders aus. Bei den älteren Abonnenten funktioniert das auch leidlich, jüngere weichen zunehmend auf andere Informationsquellen aus. Die Auflagenschwund lässt sich also höchstens bremsen, nicht aber umkehren – „immerhin“, sagen sich die Verlage. Tatsächlich müssen aber neue Einnahmequellen erschlossen werden und ich wundere mich immer, dass die Verlage da so zögerlich reagieren. Warum zum Beispiel sind seit Jahren FAZ und Handelsblatt die einzigen, die ihre Zeitungen auf Amazons Kindle anbieten?
Meisenfrei says
Nun, wenn Chervel richtig liegt, agieren die deutsche Chefredakteure und Verleger klüger als z.B. die Macher des britischen Guardian, die ihre Inhalte verschenken wie Kölner Jecken die Kamelle und infolgedessen binnen Jahresfrist 15 % Auflage beim Printprodukt verloren. Im Vergleich dazu liegen die überregionalen deutschen Qualitätszeitungen trotz kräftiger Copypreissteigerungen stabil im Markt.