Hans-Peter Siebenhaar (Der Handelsblatt-Autor, der vor kurzem bereits über das von Presseverlagen geforderte Leistungsschutzrecht und erfundene ‚Raubritter im Netz‘ schrieb) hat gemeinsam mit Gabor Steingart für das Handelsblatt Springer-Vorstand Mathias Döpfner interviewt. Das Interview ist auf beiden Seiten erstaunlich voll mit Halbwahrheiten und Nebelkerzen.
So sagt Döpfner bereits am Anfang:
Gute Inhalte bedeuten einen Aufwand. Sie stellen einen Wert dar und müssen daher bezahlt werden.
und
In den vergangenen Jahren haben manche geglaubt, sie könnten die Gesetze der Schwerkraft in der Marktwirtschaft aus den Angeln heben. Wir haben scheinbar innovative Geschäftsmodelle diskutiert. Manche waren überzeugt, allein schon die Aufmerksamkeit für Inhalte stelle einen unternehmerischen Wert dar. Doch das waren fromme Hoffnungen oder von Interessen gesteuerte Thesen. Man kann nicht mit Aufmerksamkeit bezahlen.
Was Döpfner ausblendet und die Interviewer ebenfalls nicht zu interessieren scheint: Medien seit sehr langer Zeit mehrheitlich werbefinanziert. In den USA seit ungefähr 180 Jahren:
Since then, for about 180 years, the retail price of a newspaper has never reflected the total cost of assembling and producing it. Any paper that tried to charge such a price (6x more) would lose circulation and be undercut by correctly priced competing papers.
Werbefinanzierung ist das Geldverdienen mit Aufmerksamkeit. Man verkauft die Aufmerksamkeit der Leser bzw. die eigene Reichweite an die Werbekunden.
Niemand hat je behauptet, man könne von Aufmerksamkeit allein leben. Aufmerksamkeit ist ein Wert, der dank der Informations- und Kanalzunahme allgemein steigt, und der natürlich wirtschaftlich genutzt werden kann. (Es ist eine klassische rhetorische Strategie, eine möglichst absurde Position zu formulieren, diese dem ‚Gegner‘ zu unterstellen, und dann kopfschüttelnd auf die Absurdität zu verweisen. In solchen Situationen könnten Interviewer gut nachhaken.)
Bemerkenswert ist auch, wie die Interviewer sich selbst Fronten ausdenken:
Vor allem die Internet-Konzerne aus dem Silicon Valley, Google & Co., predigen noch immer die Umsonst-Kultur des World Wide Web als Errungenschaft der Zivilisation und als demokratischen Fortschritt.
Kein Internet-Konzern, auch nicht Google, ‚predigt‘ die ‚Umsonst-Kultur‘. Letzerer Begriff ist ein ausgedachter Umstand von Menschen, die kein Verständnis von Querfinanzierungen, Preisstrategien und (marginal komplexeren) Geschäftsmodellen haben.
Warum sind Google-Angebote in der Regel kostenfrei verfügbar? Weil Google sich mit Werbung refinanziert. Und das überaus erfolgreich. Die Google-Zahlen des dritten Quartals 2010:
Revenues jumped 23 percent to $7.3 billion. Net income was up 18 percent to $2.2 billion.
[..]
Non-text search, including display ads from DoubleClick and YouTube ads, are on a $2.5 billion revenue run-rate. Google is putting ads on 2 billion video views a week. And mobile search is on track to be a $1 billion business this year.
Das hat nichts mit Predigen und nichts mit Umsonst-Kultur zu tun. Das ist sinnvolles, erfolgreiches Wirtschaften.
Mathias Döpfner:
Wenn der Supermarkt kostenlose Butter anbietet, nehmen wir die gerne mit. Es kümmert uns wenig, ob der Butterproduzent später bankrottgeht oder nicht.
Und darauf die Wirtschaftsjournalisten vom Handelsblatt:
Deswegen gibt es im Supermarkt auch nichts umsonst, weder die Butter noch die Plastiktüte.
Ein vollkommen hanebüchener Vergleich. Wie oben bereits ausgeführt, verbreiten Pressemedien ihre Inhalte bereits seit sehr langer Zeit unter Kosten. Online sind die Kosten pro Leser weitaus niedriger als sie es pro Tageszeitungsausgabe sind. Letztere muss gedruckt und verbreitet werden. Die Kosten für das Bereitstellen und Ausliefern einer Webseite mit Text pro ansurfenden Leser ist so gering, dass sie oft vernachlässigt werden kann. (Erst in der aggregierten Masse machen sich die Kosten bemerkbar. Wäre es anders, würde es zum Beispiel wohl weitaus weniger als Hobby betriebene Blogs geben.)
Unter Kosten führt also online leicht zum maximal niedrigsten Preis: Null. Mit diesem erreicht man die maximale Reichweite und kann (zum Beispiel) Werbung verkaufen. So wie man das bereits früher gemacht: Aufmerksamkeit verkaufen, maximale Reichweite mit Preisen pro Einheit die unterhalb der Kosten pro Einheit liegen.
Beim Preis selbst liegt der einzige Unterschied zwischen heute und vor dem Internet in der absoluten Höhe: Der Preis kann ohne weiteres auf Null sinken, weil die zugrundeliegenden Kosten es erlauben. Am relativen Verhältnis hat sich nichts geändert: Der Preis, den die Leser direkt zahlen, lag und liegt unter den Bereitstellungskosten.
Diese Dynamik einem schnäppchen-versessenen Konsumenten unterzuschieben, ist ein Strohmannargument. Aber, wenn die Presse schon immer so vorgegangen ist, wo liegt dann das Problem? Warum beschweren sich Pressevertreter wie Mathias Döpfner?
Weil online noch ganz andere Dynamiken entstanden sind, die den Presseverlagen tatsächlich zu schaffen machen. Auf der einen Seite ist die Anzahl der Werbeflächen enorm gestiegen. Werbekunden können heute über Google auf deren Suchseiten und auf Millionen von kleinen Websites werben. Facebook und andere neuartige Angebote nehmen zusätzlich Werbegelder ab. Angebote wie Immobilienscout24 oder Immonet und ähnliche Dienste in anderen Sparten graben das Geschäft mit Kleinanzeigen ab.
Damit nicht genug: Früher hatten Presseverlage oft lokale Monopole auf Werbeflächen. Sie konnten entsprechende Preise setzen. Die Presseverlage sind also nicht nur von mehr Konkurrenz bedrängt, sie sehen sich in vielen Bereichen historisch erstmals überhaupt Konkurrenz gegenüber.
Eines der Hauptprobleme der Presseverlage, um es kurz zu machen, ist also nicht, dass sie ihr Angebot unter Kosten an die Leser verbreiten, so wie sie es immer schon getan haben, sondern dass sie neuerdings mit Konkurrenz aus unzähligen Richtungen konfrontiert sind.
Aber wie soll man das alles knackig in der Öffentlichkeit verbreiten, wenn man gleichzeitig ein Artenschutzrecht für sich bei der Politik einfordert?
Von einer Konkurrenz-Kultur reden? Von einer Kultur des Wettbewerbs sprechen?
Nein, das geht natürlich nicht.
Das alles führt zwangsläufig zu strukturellen Veränderungen innerhalb der Branche. Der Springer-Konzern berichtet regelmäßig von Rekordgewinnen. Warum? Unter anderem weil in presseferne Webangebote investiert wurde:
Axel Springer steigerte den Konzernumsatz – wie bereits am 25. Februar 2009 vorab veröffentlicht – im Geschäftsjahr 2008 um 5,8 Prozent auf EUR 2.728,5 Mio. (Vj.: EUR 2.577,9 Mio.). Zu diesem Anstieg trugen insbesondere die 2007 akquirierten Unternehmen bei, unter anderem die Aktivitäten in der Schweiz sowie zanox.de und auFeminin.com.
Es ist Döpfner als Vorstandschef des Springer-Konzerns nicht vorzuwerfen, dass er mehr Geld verdienen will und dafür auch in Interviews marktwirtschaftliche Gesetze in seinen diesbezüglichen Forderungen ausklammert. Das ist Öffentlichkeitsarbeit und nachvollziehbar, auch wenn sie ihn nicht immer unbedingt als jemanden dastehen lässt, der weiß, wovon er redet.
Aber dass das Handelsblatt, das als Wirtschaftszeitung wirtschaftliche Zusammenhänge offen legen und erklären sollte, völlig an der Realität vorbei berichtet und in einem solchen Interview keinerlei kritische Ansätze oder Fragen formuliert werden, die auf ein grundlegendes Verständnis der sich verschiebenden Marktdynamiken hindeuten, ist wirklich bemerkenswert.
~
P.S.: Alle werbefinanzierten Medien sind zweiseitige Märkte. In Kürze werde ich auf neunetz.com die Preisstrategien für zweiseitige Märkte besprechen, die auch auf Medien zutreffen und noch einmal allgemein erklären, warum es wirtschaftlich sinnvoll sein kann, sein Produkt an eine Kundengruppe unter Kosten abzugeben.
Fk says
Am „Abstieg des Qualitätsjournalismus“ arbeiten offensichtlich genau jene am emsigsten, die ihn wiederum am lautesten beklagen: Die Journalisten. Aber dafür recht effizient, sitzen sie doch an genau den Positionen, an denen sich die Spreu vom Weizen trennen ließe. Wenn sich Wirtschaftsjournalisten so einen eindimensionalen Quark verkaufen lassen, geht ihr Geschäftsmodell mit recht den Bach runter.
Glemnitz says
Ein weiterer schöner Artikel darüber, wie die alten Medien versuchen sich gegen neue Realitäten zu stemmen. Erinnert mich immer wieder an die Musikindustrie.
Glemnitz says
So eine inhaltslose Kommentar-Antwort (oder gibt es da auch einen journalistischen Fachterminus?) zu geben ist nichts weiter als Pedanterie. Deswegen eine 1+ von mir für Hr. Emann im Klugscheißen.
Zurück zur sachliche Ebene:
Ich denke nicht, dass „hier alle [was] gegen Verlage, Zeitungen und Zeitschriften haben“, sondern vielmehr gegen das ignorante Festhalten an alten Geschäftsmodellen.
Wie gesagt, die Print-Medien erinnern mich stark an die für ihr Verhalten viel belächelte Musikindustrie, die sich nur langsam der neuen (Online-)Realität stellte. Und das gleiche in Grün haben wir bei den Verlagen, nur dass sie der Entwicklung noch weiter hinterher sind, anstatt aktiv zu werden und die Chancen sehen und nutzen.
In diesem Zusammenhang die Worte von Winston Churchill: „A pessimist sees the difficulty in every opportunity; an optimist sees the opportunity in every difficulty“ Genau das sollten sich die Herren an der Spitze der Verlage zu Herzen nehmen.
Ulrike Langer says
Hans-Peter Siebenhaar betätigt sich schon seit geraumer Zeit im Handelsblatt aber auch als Gastautor in anderen Publikationen als Propaganda-Sprachrohr der Verlagslobby: Pro Leistungsschutzrecht, wider die „Umsonstkultur“ des Internets, Schönreden oder zumindest nicht kritisches Hinterfragen der bisherigen Erfolge von Murdochs Times-Paywall. Für mich lässt das Schluss zu: Offensichtlich sollen die Leser darauf eingestellt werden, dass die Inhalte des Handelsblatt bald hinter einer Bezahlschranke verschwinden.
Thomas Haseloff says
Danke für den interessanten Kommentar!
Ich frage mich trotzdem, wie im Netz dann Geld verdient werden kann mit Qualitätsjournalismus? Wie kann so Geld verdient werden, dass Redaktionen überleben und wenigstens kostendeckend arbeiten können. Die „Konkurrenz aus unzähligen Richtungen“ ist zwar nicht wirklich neu, aber Döpfner hat halt keine wirkliche Antwort drauf? Habt ihr eine???
Flattr und co können einen Ansatz bieten?
Jco40 says
Für die absolut dümmste Idee halte ich das Bestreben, Online Angebote komplett und exklusiv in iPad Apps zu verstecken und das auch noch als große Hoffnung für die Printmedien zu preisen.
Artikel in einer App sind nicht vom Browser aus verlinkbar. Damit enziehen sie sich der Möglichkeit über Facebook und Twitter verlinkt zu werden. Mehr braucht man dazu eigentlich nicht zu sagen.
Florian says
Ich verweise mal frecherweise auf einen Beitrag von mir von gestern, der sich auch mit der ganzen Handelsblatt-Story und deren dünnen Füßen beschäftigt:
http://www.trice.de/2010/11/08/handelsblatt-pinocchiot-weiter-uber-ende-der-gratiskultur/
Dpetersen19 says
Ich glaube um Herrn Döpfner zu verstehen, muss man nur einmal die Vertrieberlöse der Bild-Zeitung für ein Jahr ausrechnen (verkaufte Auflage * Verkaufstage * Preis, also 3.098.254*0,55* 255 = ca. 434 Mio€). Und dann sollte man sich die Frage stellen, welches Unternehmen mit diesem Umsatzrückgang klar kommen würde…
Jens Emann says
Einen Blog-Eintrag als „Artikel“ zu bezeichnen entbehrt nicht einer gewissen Ironie… Anscheinend hat sich hier jemand wenig bis gar nicht mit Journalismus beschäftigt. Das hier ist kein Artikel sondern ein Kommentar. Blogs verbreiten im Allgemeinen Meinungen und ersetzen nicht im geringsten Journalismus. Ich frage mich was hier alle gegen Verlage, Zeitungen und Zeitschriften haben?! Auf einer sachlichen Ebene scheint man sich ja gar nicht auseinandersetzen zu können…
Jens Emann says
Einen Blog-Eintrag als „Artikel“ zu bezeichnen entbehrt nicht einer gewissen Ironie… Anscheinend hat sich hier jemand wenig bis gar nicht mit Journalismus beschäftigt. Das hier ist kein Artikel sondern ein Kommentar. Blogs verbreiten im Allgemeinen Meinungen und ersetzen nicht im geringsten Journalismus. Ich frage mich was hier alle gegen Verlage, Zeitungen und Zeitschriften haben?! Auf einer sachlichen Ebene scheint man sich ja gar nicht auseinandersetzen zu können…
Marcel Weiss says
Presseverlage und Redaktionen in ihren alten Formen werden wohl kaum bis selten überleben. Viele werden sich grundlegend wandeln müssen (sprich: oft kleiner werden), um sich den neuen Bedingungen anzupassen. Das fängt zum Beispiel ganz banal damit an, nicht mehr Ressourcen in das umfassende Copy&Paste von Agenturmeldungen zu stecken.
Marcel Weiss says
Ja, das ist gut möglich. Thomas Knüwer, der früher unter anderem Podcasts mit Hans-Peter Siebenhaar gemacht hat, ist erstaunlich still.
Marcel Weiss says
Ab wann wird ein Text denn zum „Artikel“? Wenn mehr als eine Person daran gearbeitet hat?
J Krone says
Aus ungenannt zu bleibender Quelle überliefert, beträgt der Abgabepreis eines Verlages an den Grossisten bei einem Copypreis von beispielsweise EUR 1,50 in etwa 0,9559 EUR. Das war 2006. Jetzt darf jeder für die Objekte selber nachrechnen und die Verhandlungsposition des jeweiligen Verlages einpreisen… :)
Herr A. says
„In diesem Zusammenhang die Worte von Winston Churchill: „A pessimist sees the difficulty in every opportunity; an optimist sees the opportunity in every difficulty“ Genau das sollten sich die Herren an der Spitze der Verlage zu Herzen nehmen.“
Solche Aussagen sind aber auch nicht weit von der inhaltsleeren Klugscheißerei entfernt….
Glemnitz says
LOL … schaut hier fast aus wie der Versuch von Astroturfing durch die Verlage. Viel Erfolg dabei!
Marcel Weiss says
Das sind nicht die Erlöse des Verlags, sondern der Umsatz aus dem
Zeitungsverkauf, an dem auch die Kioskbesitzer zum Beispiel ihren Teil
abbekommen. Leider gibt es keine aufgeschlüsselten Zahlen, aber es ist
ist überaus wahrscheinlich, dass die Vertriebskosten auch für die
Bild-Zeitung über dem verlangten Preis liegen (alles andere wäre eine
Sensation) und dass der Löwenanteil der Umsätze und damit der Gewinn
mit Werbung verdient wird. Siehe auch etwa diesen Brandeins-Artikel
zur Springer-Bilanz 2009, in dem die Preise für Werbeschaltungen in
der Bild genannt werden:
http://www.brandeins.de/archiv/magazin/-744dc669da/artikel/wo-kommt-das-geld-her.html
Dpetersen19 says
Klar müssen dort noch die Marge für Grosso/Einzelhandel abgezogen werden. Ich wollte nur die Dimension aufzeigen über die wir hier reden.
Im Krisenjahr 2009 haben übrigens die Vertriebserlöse das erste Mal die Anzeigenerlöse überholt: http://www.wuv.de/nachrichten/medien/bdzv_vertriebsgeschaeft_toppt_erstmals_die_anzeigenerloese
Moon says
Hier hat keine was gegen Verlage, Zeitungen und Zeitschriften sondern nur gegen Neidhammel, die OHNE ENDE kostenlos Traffic von Google rübergeschauftelt bekommen, ihrem Kremepl FREIWILLIG kostenlos ins Netz stellen und dann noch die Dreistigkeit haben, die Gestze zu ihren Gunsten ändern zu wollen.
Was mich am allermeisten entsetzt ist die Tatsache, dass keiner der Politiker mal sagt: packt Google erst mal in die norobots.txt und meldet euch in 2 Monaten noch mal.
Moon says
Diese Dimensionen haben anscheinend niemanden davon abgehalten, sein Zeug kostenlos ins Netz zu stellen. Wieso wohl?
Herr A. says
Nee, hat mit Astroturfing oder sonstiger Aufmerksamkeitsheischerei nichts zu tun. Reine Genervtheit über Plattitüden über inhaltslose Kommentare anderer, mehr nicht.
Glemnitz says
quod erat demonstrandum
Michi C. says
Meine Antwort wäre: mehr Wettbewerb! Wer nicht nur PR Meldungen veröffentlicht und nicht nur Geschichten kopiert, die schon 1000 x woanders gelaufen sind, der wird auch künftig Geld verdienen – sogar in Verbindung Netz und Print. Wie wärs damit?